„Entschuldigen Sie, wenn noch Erde unter meinen Fingernägeln ist“, sagt Jan Pröhl, der abgekämpft von der Probe kommt. Dabei gibt es keine Spur mehr vom Graben im Naturboden, vom Beschwören des Erdgeistes als Doktor Faust. Höflich ist der Mann und nicht nur auf den ersten Blick gewissenhaft. Er geht seinen Figuren gerne auf den Grund, was er auf der Bühne des Grillo-Theaters in „Graf Öderland“ eindrucksvoll zeigte. Jetzt spielt er mit Goethes Tragödie „Faust I und II“ in der obersten Liga der Theaterliteratur.

Was in ihm steckt, hatte sein Vater bereits zu Schulzeiten geahnt. „Ich war in demselben Theaterkurs wie er, bei demselben Lehrer. Mein Vater sah, wie viel Spaß mir das machte und fragte mich eines Tages, ob ich Schauspieler werden wollte. Ich dachte, er spinnt“, erzählt der im idyllischen St. Peter Ording beheimatete Pröhl. Die Idee setzte sich dennoch durch. Er absolvierte das Studium an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Hamburg und ließ das geliebte Meer hinter sich. Es folgten acht Jahre in Heidelberg, elf in Göttingen. Früh spielte er „Othello“ und erfuhr, „wie groß so eine Aufgabe sein kann“. Die für ihn wichtigsten Rollen aber wurden der Sam Evans in „Seltsames Intermezzo“, der Franz Biberkopf in „Berlin Alexanderplatz“ oder Johnny Cash in einem Abend, „der wie ein Rock ’n’ Roll-Konzert ist“ und den er immer noch spielt, wenn es die Verpflichtungen in Essen zulassen. Also selten.

Fragt man ihn, wo er hier lebt, sagt Jan Pröhl spontan: im Theater. Doch wohnt der 47-Jährige im Südviertel mit Blick auf den RWE-Turm. Er liest, hört Radio, lernt Text und ist dabei ständig in Bewegung. „Eine sture, langweilige, ätzende Arbeit“, nennt er das, was ihm durchaus schwer fällt. Auch nach 100 Produktionen. Nur bei „Faust“ falle es ihm leichter als sonst „durch die Reimwörter, die einen in die nächste Zeile tragen“. Ein Viertel seines Textes konnte er vor Beginn der knapp achtwöchigen Proben. Den Rest paukte er, während er seine Figur für die sehr konzentrierte Drei-Stunden-Fassung von Regisseur Christoph Roos entwickelte.

„Um gebrochene Figuren darzustellen, muss man in die tiefsten Abgründe hinabsteigen“, weiß er. „Das sollte man sich schon schwer machen. Ein Mensch ist ja nicht eindimensional. Seine Facetten auch in sich zu suchen, ist eine aufregende Angelegenheit“, so Jan Pröhl über die große Herausforderung. Zumal bei diesem Faust als Ausdruck der Zerrissenheit anfangs gleich sechs Seelen in seiner Brust wohnen, dargestellt von sechs Schauspielern. Die des Mephisto bleibt dem Fortschrittsfanatiker bis zum Ende erhalten. „Er ist ein schlimmer Kerl. Er fordert und vollbringt, weil er will. Wie viele Menschen auf der Strecke bleiben, ist ihm egal. Es gibt aber auch Zweifel und Momente, in denen er versucht, ehrlich mit sich umzugehen. Dann strebt er wieder vorwärts ohne Rücksicht auf Natur und Gesellschaft“, erklärt der Schauspieler.

Diese sehr heutige Rast- und Rücksichtslosigkeit sind Jan Pröhl fremd. Er scheint in sich zu ruhen. Gegen den Stress und die Anstrengung auf der Bühne sucht er Ausgleich beim Schwimmen. Nur ausgerechnet an diesem Samstag ist das Rüttenscheider Schwimmzentrum, wo er sonst seine Bahnen zieht, geschlossen. Also muss er das Lampenfieber wohl oder übel aushalten. „Am Premierentag ist nicht viel mit mir anzufangen“, meint Jan Pröhl. Aber nur bis zur Vorstellung.