Liebhaber von Tschaikowskys Ballettklassiker „Schwanensee“ müssen sehr tapfer sein, wenn sie sich im Colosseum das Tanzspektakel „Swan Lake Reloaded“ anschauen. Odette ist hier keine verzauberte Prinzessin, sondern eine Straßendirne und Zauberer Rotbart ihr Zuhälter. Die Wahrscheinlichkeit, Ballettfiguren zu sehen, tendiert gegen Null. Und dennoch ist die Show ein spektakuläres und in Schweden extrem erfolgreiches Stück Tanztheater, das in Essen eine Europatournee startet.

„Schwanensee“ als Street Dance. Was für Puristen der größtmögliche Frevel am klassischen Ballett darstellt, war für den schwedischen Tänzer, Choreografen und Produzenten Fredrik Rydman eine derart nahe liegende Idee, dass er sich wunderte, dass noch niemand anders auf die Idee gekommen war. Er bekam diese Idee in London vor dem Schaufenster eines Modegeschäftes. „Dort waren einige Pelze ausgestellt, die aussahen wie Schwäne. Oft werden ja Schwäne als Symbol für Prostituierte verwendet. Und nach und nach wurden mir die Parallelen klar: Drogenabhängigkeit und Prostitution gehen oft einher und Drogen sind ja ganz deutlich der Zauber, mit denen Rotbart die Mädchen unter seinen Bann stellt.“

So ein starker, dramatischer und bildgewaltiger Stoff verlangte in seinen Augen nach einer Inszenierung mit allen Mitteln modernen Tanztheaters. Er lässt seine zehnköpfige Truppe zu Tschaikowskys Originaltönen tanzen, aber auch zu Remixen von Electro-Produzenten und zu Songs, die eigens für diese Show komponiert worden sind. Dazu taucht er sie in ein aufwändiges Lichtdesign.

Zauberer Rotbart demonstriert bei der Brautschau seine Macht, indem er die Zeit still stehen oder schneller laufen lässt, so dass die Tänzer sich abwechseln in Zeitlupe und im Breakdance-Stil bewegen. Mit Fredrik Wentzel hat Rydman zudem einen Breakdancer in der Truppe, dessen artistische Sprunggewalt in jeder Zirkusnummer Begeisterung auslösen würde.

Tschaikowsky hat das Ende von „Schwanensee“ offen gelassen. Je nach Inszenierung entkommen Odette und Siegfried am Schluss der von Rotbart beschworenen Riesenwelle oder sterben einzeln und gemeinsam in den Fluten. Eine Zunftregel verbietet zu verraten, wie das Stück im Colosseum ausgeht. Ein gutes Ende, das dürfen wir vermelden, hat der Tourstart genommen. Am Dienstag musste die Preview wegen technischer Probleme kurzfristig abgesagt werden, am Mittwoch aber bei der Premiere lief zur Erleichterung aller Beteiligten alles glatt. Bis Sonntag ist „Swan Lake Reloaded“ noch in Essen zu sehen, danach geht die Tour weiter nach Berlin, Wien, Frankfurt und München.