Essen. . Ein 58-jähriger Ingenieur soll der Kopf einer internationalen Bande sein. Sie operiert mit einem muslimischen Bezahlungssystem aus dem Mittelalter. Verhaftet wurde der gebürtige Syrer aber in der Moderne. Im Heute. Im schmucken Essener Süden.

Ein Doppelleben. Wanderer zwischen legaler und illegaler Welt. Verhaftet in der Moderne und in der mittelalterlichen Welt. So sieht nach dem vorläufigen Ermittlungsergebnis der mutmaßliche Kopf der internationalen Schleuserbande aus, dessen Organisation die Bundespolizei unlängst mit einer bundesweiten Razzia auffliegen ließ: Ein 58 Jahre alter Ingenieur aus dem Essener Süden.

Geboren ist er in Syrien, am Tigris im Nordosten des Landes. Ein Dreiländereck mitten im Kurdengebiet. Die Türkei und der Irak liegen ganz nah an seiner 26.000 Einwohner großen Heimatstadt Al Malkie. Mittlerweile ist er Deutscher, als Projektleiter betreut er große Bauaufträge seines Arbeitgebers, eines weltweit aktiven Essener Konzerns.

500 Beamte kommen morgens um 6 Uhr

Auch die schmucke Doppelhaushälfte in einer Seitenstraße des Stadtteils Heidhausen zeugt vom gesellschaftlichen Erfolg des Ingenieurs. Die bürgerlichen Nachbarn im Villenviertel dürften erstaunt reagiert haben, als die Polizei den Mann festnahm.

Die Aktion gehörte zu einer Razzia im Auftrag der Staatsanwaltschaft Essen, die sich gegen eine „international agierende Schleuserbande“ richtete. Rund 500 Beamte schlugen um sechs Uhr morgens zu. Koordiniert von der Bundespolizei in Berlin, durchsuchten sie 37 Wohnungen in mehreren Bundesländern, vollstreckten elf Haftbefehle in Deutschland, Frankreich, der Türkei und Griechenland. Mindestens 270 Menschen, meist Syrer, soll die Bande nach Deutschland und in andere EU-Staaten geschmuggelt haben.

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Kein billiger Transfer. Zwischen 4500 und 17.000 Euro sollen die Fahrten ins gelobte Land gekostet haben. 4500 bis 10.000 Euro kostet es, wenn es per Lkw über die Balkanroute nach Deutschland geht. Die Flugroute über den Senegal und Japan berechnet die Schleuserorganisation mit bis zu 17.000 Euro. Mit dem Schiff geht es von der Türkei nach Griechenland.

Geldüberweisungen innerhalb weniger Minuten ohne jede Kontrolle

Kopf des Menschenschmuggels soll der Ingenieur aus dem Essener Süden sein. Als „Hawaladar“ bezeichnet ihn der Haftbefehl des Essener Amtsgerichtes. Der 58-Jährige beherrscht demnach „Hawala“, das aus dem Mittelalter stammende Finanzsystem der muslimischen Welt, das in der FAZ mal als „Geld von Mensch zu Mensch“ gelobt wurde. Tatsächlich ermöglicht es Geldüberweisungen innerhalb weniger Minuten ohne jede Kontrolle.

Wer seinen Verwandten aus Syrien nach Deutschland holen wollte, soll zu dem 58-jährigen Essener als „Hawala-Banker“ gegangen sein und ihm das Geld gegeben haben. Dafür bekam er ein Codewort, das er dem Auswanderungswilligen in Syrien mitteilte. Der Essener soll dann seinen Bruder in Syrien angerufen und ihm ebenfalls das Codewort mitgeteilt haben. War die Schleusung erfolgreich, zahlte der Bruder nach Nennung des Codewortes das Geld an die Schleuserorganisation aus. Über Verrechnungen oder Kuriere glichen die „Hawaladare“ ihre Konten aus, kassierten rund fünf Prozent Gebühr.

Geldwäsche, Steuerhinterziehung und Terrorismus

Es gibt auch legale, bei der deutschen Bundesfinanzaufsicht angemeldete „Hawala-Banken“, die ihre Transfers dokumentieren. Der illegale Rest, zahlenmäßig weit größer, ist ideal für Geldwäsche, Steuerhinterziehung und Terrorismus. Interessant ist dieser Finanzierungsweg auch, weil gegen Syrien ein Handelsembargo gilt und offizielle Überweisungen unmöglich sind.

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Die Öffentlichkeit meidet der „Hawaladar“ keineswegs. Der 58-Jährige wickelte die Transaktionen nach Erkenntnis der Bundespolizei oft in der Nähe des Essener Hauptbahnhofes ab. Es lag vermutlich an seinem anstrengenden Job als Ingenieur, dass er in mehreren Fällen kurze Wege bevorzugte. Dann nahm er laut Haftbefehl das Bargeld seiner Kunden auch in der Nähe seiner Wohnung an. Bei Lidl oder bei Rewe, zwei bis drei Minuten von seinem Haus entfernt. Ob er wirklich der Kopf der Bande ist? „Solange wir keine Akteneinsicht haben, äußern wir uns nicht“, sagt sein Verteidiger Volker Schröder.