Essen. . Noch vor wenigen Wochen war Schausteller-Präsident Albert Ritter beim Papst. Auch andere Essener sind Benedikt XVI. begegnet. Essener Katholiken zollen Respekt für den Rücktritt eines Papstes, der sie mit seinem tiefen theologischen Wissen mehr beeindruckte als dass er ihre Herzen erreichte.

Wer weiß – vielleicht war Albert Ritter der letzte Essener, der Papst Benedikt XVI. persönlich gegenüberstand. Im Dezember führte Ritter als Vorsitzender des europäischen Schaustellerverbandes eine Delegation nach Rom an. Alle 25 Jahre, so will es die Tradition, gewährt der Vatikan den Vertretern des fahrenden Volkes eine Audienz. Schließlich haben die Kirmessen ihren Ursprung in Kirchweihfesten, erinnert Ritter, der gleich noch den rheinischen Dreiklang von „Kirche, Kirmes, Karneval“ zitiert. Insofern könnte man angesichts der Rücktrittsankündigung des Papstes am Rosenmontag beinah sagen: Da schloss sich ein Kreis.

Überrascht war Albert Ritter von der Nachricht natürlich dennoch. Zumal er Benedikt bei der Begegnung vor wenigen Wochen in Rom als für sein Alter vergleichsweise fit erlebt habe. „Er ist für jeden von uns zur Begrüßung aufgestanden, und geistig war er ohnehin voll da.“ Man sprach über die Nöte und Sorgen der Schausteller. Der Papst habe den Besuchern Mut zugesprochen und sie darin bestärkt, dass ihre Zunft „den Menschen Freude macht“. Zu guter letzt überreichte Ritter – selbst übrigens kein Katholik – dem Heiligen Vater ein historisches Karussellpferd.

Großes Erstaunen

Nicht minder erstaunt als Ritter war über die gestrige Botschaft aus Rom Rudi Löffelsend, der als Auslandsreferent und Sprecher lange Jahre das Gesicht der Caritas im Bistum Essen prägte. Die Nachricht vom Rücktritt hielt er, wie viele andere auch, zunächst für einen „schlechten Karnevalsscherz“. Dass sich das Unglaubliche recht schnell als wahr entpuppte, „hat mich ordentlich durcheinander gebracht. Das ist eine Entscheidung, die absolut außergewöhnlich ist“. Zugleich fiel Löffelsend wieder ein, wie er sich am Vortag die übliche sonntägliche Ansprache des Papstes im Fernsehen angesehen hatte – und vielleicht so etwas wie den Hauch einer Ahnung verspürte.

Rudi Löffelsend, der ehemalige Caritassprecher im Ruhrbistum, hat das Wirken und Auftreten Benedikts intensiv beobachtet – aus der Ferne, und einmal sogar von ganz nah. Im Jahr 2009 war das, Löffelsend durfte Caritas-Vertreter aus Polen zu einer Audienz im Vatikan begleiten. Schon damals sei er erstaunt gewesen, wie klein und schmal der Papst in natura erschien – noch viel fragiler als im Fernsehen ohnehin schon. „Da darf nichts drankommen“, das sei sein erster Gedanke gewesen. Als er nun vergangenen Sonntag am Bildschirm die Mittagsansprache des Papstes in Rom verfolgte, habe ihn der Eindruck von Alter und Gebrechlichkeit noch einmal mit aller Wucht ereilt. „Er leidet.“

Kirche befindet sich in "Wirrungen"

Je länger Löffelsend über den päpstlichen Paukenschlag nachdenkt, desto mehr hält er den Rücktritt denn auch für eine kluge Entscheidung. „Gerade angesichts der Wirrungen, in denen die Kirche sich heute befindet, ist es besser, wenn jemand Jüngeres nachrückt.“ Was Löffelsend sich vom künftigen Papst wünscht? „Es wäre wichtig, sich an eine tiefgehende Reform der Kirche heranzuwagen. Natürlich soll sie ihre Grundwahrheiten beibehalten, aber der Zölibat zum Beispiel ist keine Grundwahrheit.“

Brennende Themen der Katholiken müssen erspürt werden 

Aufbruchsstimmung erhofft sich von dem kommenden Wechsel an der Spitze der Kirche auch Björn Enno Hermans, Geschäftsführer des Essener Sozialdienstes katholischer Frauen (SKF) und Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken. „Es bedarf eines Papstes, der die brennenden Themen und die aktuellen Nöte der Katholiken erspürt und einen Umgang damit findet“, so Hermans, der sich für einen Dialogprozess innerhalb der Kirche einsetzt. Vor diesem Hintergrund „war Papst Benedikt für mich eher unscheinbar“, für einen echten Austausch sei die Zeit vielleicht einfach zu kurz gewesen. Die Entscheidung zum Rücktritt lobt Hermans als Ausdruck einer „total starken und verantwortungsvollen Haltung“, wenngleich sie für die Kirche eine gewisse Unsicherheit bedeute.

Respekt für die klare Haltung zollt dem scheidenden Papst auch der Essener Stadtdechant Jürgen Cleve. „Das entspricht der Linie seines Wirkens. Er hat nie an einem Amt geklebt, sondern wollte immer der Kirche dienen.“ Zugleich sei es wohl eine „emotionale und von viel Erfahrung geprägte Entscheidung“ gewesen, glaubt Cleve: „Er hat die letzten Jahre von Papst Johannes Paul II. direkt miterlebt und wollte für sich wohl einen anderen Weg gehen.“

Benedikt XVI als frommer Gelehrter in Erinnerung

Benedikt XVI. werde ihm in Erinnerung bleiben als „frommer Gelehrter“, sagt Cleve, der den Papst 2005 beim Weltjugendtag in Köln erlebte. „Damals hat er gesagt: ‘Ich komme als Pilger nach Köln.’ Das sagt viel über ihn aus. Er hat nicht von oben verkündet, hat wenig Moralvorschriften gemacht, sondern sehr theologisch nachgedacht.“ Der Nachfolger Benedikts XVI. müsse vor allem „sehr genau hinhören“, so Cleve. „Wir als Kirche geben im Moment viele Antworten auf Fragen, die niemand stellt. Es braucht einen Papst, der die Fragen erkennt – das hat Benedikt versucht – und darauf nicht in hochwissenschaftlicher Form Antworten gibt.“

Auf Benedikts theologische Beschlagenheit hebt auch Markus Pottbäcker ab, der als ehemaliger Diözesanjugendseelsorger oftmals Gruppen zu Weltjugendtagen begleitete. Pottbäcker weiß aus eigener Anschauung, dass Benedikt „kein Charismatiker“ ist, der so mühelos den Draht zur Jugend fand wie sein Vorgänger Papst Johannes Paul II. „Aber er ist authentisch. Und er ist im positiven Sinne ein Gelehrter, wahrscheinlich einer der gebildetsten Menschen unserer Zeit. Seine Rede im Bundestag zum Beispiel war ein Meilenstein.“ Seine Enzykliken, wie Benedikt etwa über die Liebe schrieb, das habe ihn tief beeindruckt, so Pottbäcker.

Umgang mit der Pius-Bruderschaft kritisiert

Zugleich gab es aus Sicht des Pfarrers einiges in dem nun vorzeitig zu Ende gehenden Pontifikat, das sich kritisieren ließe, so etwa Benedikts Umgang mit der umstrittenen Pius-Bruderschaft. Überhaupt hatten die vergangenen Jahre aus Pottbäckers Sicht „etwas Binnenzentriertes“, ganz deutlich habe der Fokus darauf gelegen, die Institution Kirche zu stabilisieren. Unter dem nächsten Papst, so hofft er, werde sie wieder stärker „eine politische Stimme für Frieden und Gerechtigkeit“ sein.