Essen. . In Essen haben Eltern vergleichsweise gute Karten: Tritt der Rechtsanspruch für Ein- und Zweijährige in Kraft, gibt’s für jedes zweite Kind einen Krippenplatz.

Je näher der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für Ein- und Zweijährige rückt, desto deutlicher werden die Warnungen vieler Städte und Gemeinden: Der Kita-Ausbau bis zum August sei nicht zu schaffen. Wer das sagt, steckt in der Tat in einem Dilemma zwischen Anspruch und Wirklichkeit, vor dem ihn weder pauschale Entschädigungszahlungen noch gute Ratschläge an die Eltern schützen werden. Eine gewisse Polit-Panik macht sich angesichts schon jetzt verloren geglaubter Zahlenspiele in der Kindergartenlandschaft breit.

Vor Ort allerdings ist von diesem Alarmismus wenig bis gar nichts zu spüren. In Essen haben Eltern vergleichsweise gute Karten. „Wir werden im nächsten Kindergartenjahr bezogen auf die Ein- und Zweijährigen eine Versorgungsquote von über 50 Prozent bei insgesamt 8989 Kindern erreichen“, versprechen Jugendamtsleiterin Christina Bäuerle und der zuständige Dezernent Peter Renzel. Was heißt: Für jedes zweite dieser Kinder wird ab 1. August ein Platz in einer Kita oder der Tagespflege zur Verfügung stehen.

Ob die nach neuesten Berechnungen dann 4711 Plätze dem Bedarf tatsächlich gerecht werden, weiß zurzeit niemand genau. Wer nimmt lieber das Betreuungsgeld; wie viele Familien entscheiden sich für einen Kita-Platz erst ab dem dritten Lebensjahr? Bei aller Planungsunsicherheit: „Wir glauben dennoch nicht an die großen Verwerfungen“, sagt Renzel, den ein Blick auf die zwei vergangenen Jahrzehnte kaum nervös machen dürfte. In 20 Jahren hat es in Essen zwei Klagen wegen angeblich nicht erfüllter Rechtsansprüche gegeben. Beide wurden abgewiesen. Da sich aber nicht gänzlich ausschließen lässt, dass selbst der Essener Kraftakt beim Ausbau der Betreuung nicht auskömmlich sein könnte, entwickelt die Stadt zurzeit zusammen mit den Trägern der Einrichtungen ein, wie es heißt, „ergänzendes Maßnahmenprogramm“: So soll etwa die Beratung im Familienpunkt in der Innenstadt für eine gewisse Zeit personell aufgestockt werden, um gemeinsam mit Eltern, die vor ihrer Haustür womöglich leer ausgehen, nach der besten Lösung für ihr Kind zu suchen. Was nutzt es Familien am Ende, einen Rechtsanspruch durchsetzen zu können, aber einen Betreuungsplatz weit entfernt in einem anderen Stadtteil zu bekommen? „Davon halte ich gar nichts“, sagt Renzel, „deshalb sollten wir bei Problemen das Wohl des Kindes in den Mittelpunkt stellen und nach Alternativen suchen.“

Im Gespräch sei man auch über eine flexiblere Verwendung freier Plätze, die eigentlich für Drei- bis Sechsjährige vorgesehen waren. 250 sind’s aktuell. Das könnte ein zusätzlicher Puffer für die kommende Spielzeit mit den unter Dreijährigen in den Einrichtungen sein.

Der ist willkommen: Denn 204 geplante Plätze konnten in 2012/2013 nicht geschaffen werden, weil man sich nicht einigen konnte mit potenziellen Verkäufern von Grundstücken und Gebäuden. 793 Plätze für unter Dreijährige waren ursprünglich geplant. Bis zum 31. Juli können davon 589 in Betrieb gehen, wie aus einer druckfrischen Statistik der Stadt hervorgeht. Doch da der Kita-Ausbau eine Mammutaufgabe wohl bis über das Jahr 2020 hinaus bleibt, werden auch im kommenden Jahr zusätzliche Plätze entstehen müssen: 750 sollen es werden, 706 davon sind für die Kleinsten vorgesehen. Für den Ausbau allein im kommenden Kita-Jahr rechnet die Stadt mit rund 21,7 Millionen Euro. Dazu kommen 2,7 Millionen Euro mehr fürs Personal und 89 Millionen Euro an Zuschüssen für freie Träge allein im laufenden Jahr. Kinderbetreuung ist wahrlich kein Kinderspiel.

Die Aussagekraft von „Versorgungsquoten“

Für Jugendamtsleiterin Christina Bäuerle und Dezernent Peter Renzel haben Zahlenspiele in der Kita-Landschaft eine beschränkte Aussagekraft: Wenn der Bund von 35 Prozent Versorgungsquote und das Land NRW von 33,7 Prozent sprechen, werde damit keinesfalls der Rechtsanspruch erfüllt. Der politische Streit über die Nichterfüllung dieser Größen, die allenfalls eine Planungsgrundlage für den Kita-Ausbau sind, geht nach Meinung der beiden Fachleute „völlig am Thema“ vorbei.

Um auf den tatsächlichen Bedarf reagieren zu können, müsse der Gesetzgeber für eine Stichtagsregelung wie bei den Einschulungen sorgen. Da bei den Jüngsten hingegen der Rechtsanspruch auf eine Betreuung mit der Vollendung eines Lebensjahren beginnt, hat das etwa in Essen zur Folge, dass nach Beginn eines Kindergartenjahres weitere rund 4500 Kinder sozusagen in das System hineinwachsen. Das, so Bäuerle und Renzel, könne keine Stadt in Deutschland sach- und fachgerecht steuern. Das Land müsse gesetzliche Grundlagen für eine einheitliche Jugendhilfeplanung schaffen und die Berechnungsgrundlage gesetzlich festlegen.