Sigrid Schneider hat eines der bedeutendsten Fotoarchive zur Industriegeschichte aufgebaut. Zum Abschied erzählt die Herrin über drei Millionen Bilder, warum Fotografie und Revier untrennbar zusammengehören
Der Blick aus dem Büro von Sigrid Schneider geht ins Grüne. Keine industrielle Rostromantik weit und breit, obwohl wir doch mitten im Herzen der Erinnerung sind. Das Ruhr Museum auf dem Welterbe Zeche Zollverein beherbergt nicht nur hunderte Exponate zur Geschichte des Ruhrgebiets, sondern auch das fotografische Gedächtnis des Reviers. Drei Millionen Bilder, Negative auf Glas und Zelluloid, Diapositive, alte und neue Abzüge, dazu die größte systematische Sammlung regionaler Pressefotografien von den 1930ern bis Ende der 90er umfasst das Archiv. Sigrid Schneider war 22 Jahre lang erste und bisher einzige Hüterin dieses enormen Bilderschatzes. In dieser Woche heißt es Abschied nehmen von der Sammlung und dem Blick ins Grün.
Hier hat sich so viel Drama abgespielt
Die etwas andere Perspektive aufs Revier hat der gebürtigen Krefelderin, die 1990 von der Uni Münster ans Ruhrlandmuseum nach Essen kam, geholfen. „Ich hatte nie das Gefühl, ich muss dauernd dem Image vom dreckigen Ruhrpott gegensteuern und immer nur weiße Wäsche zeigen.“ Die weiße Wäsche zwischen Pütt und Hochofen war dann noch oft genug Motiv. „Viele Fotografen hatten ja dieses Selbstbild.“ Rußschwarz und stahlgrau, diese Töne prägen lange eine Fotografie, die zwischen Duisburg und Dortmund boomt wie in kaum einer anderen Region. Die Fotografie ist nun mal das Medium des Industriezeitalters. Und das Ruhrgebiet bietet spannende Motive. „Hier hat sich so viel Drama abgespielt. Hier gab es so viele spektakuläre Motive. Rauchende Schlote, Männer im archaischen Einsatz unter Tage, hier war immer was los“, sagt Sigrid Schneider. Dazu erblüht mit dem Revier eine vielfältige Presselandschaft.
Die Lebenswerke von Kamera-Größen wie Anton Tripp, Marga Kingler und Manfred Vollmer sind ebenso gesichert wie das Archiv von Willy van Heekern oder das Glasplattenarchiv der Emschergenossenschaft. Dabei kamen die Nachlässe zunächst zögerlich, denn eine fotografische Abteilung in einem Museum für Natur- und Sozialkunde schien niemand zu erwarten. Anfangs gab es für die Sammlung nicht mal einen eigenen Raum. Mit sechs ABM-Kräften entwickelte Sigrid Schneider ein Schlagwortverzeichnis, das das Revier in seinem reichen Themenspektrum von P wie Politik bis S wie Soziales, von K wie Kirche bis zur Industriefotografie noch heute übersichtlich sortiert.
Das Ende der alten Motive, das Ende der alten Technik
Für Schneider hat die Faszination an diesem Thema nie nachgelassen. „Ruhrgebietsfotografie zeigt untern Brennglas, was Fotografie überhaupt kann.“ Beide, Fotografie und Ruhrgebiet, sind dabei gleich alt. Und sie mussten sich dramatischen Veränderungsprozessen beugen. Schneider hat das Ende der alten Motive wie das Ende der alten Technik verfolgt. Mit den Zechen und Kumpeln ist auch das Analoge verschwunden. „Für manche war das eine echte Bedrohung. Was soll ich denn jetzt fotografieren?“, erinnert sich die 65-Jährige, die dem Reiz der Nostalgie-Pflege, der Er- und Verklärung des Ruhrgebiets zum reinen Mythos nach Kräften widerstanden hat. Ruhrgebietsfotografie, das ist eben mehr als Hinterhof-Kindheit vor Hochöfen, das ist Arbeit und Freizeit, ist IBA und Migration, ist Werbe- und Werksfotografie. Schneiders vielbeachteten Ausstellungen reichten deshalb vom Aufschwung der 60er („Als der Himmel blau wurde“) bis zur Zeit des Strukturwandels („Alles wieder anders“).
Mit dem großen Übersichtswerk „Von A bis Z. Fotografie im Ruhr Museum“ verabschiedet sich die Fotochefin . Eine Nachfolge wird es zunächst nicht geben. Wiederbesetzungssperre. Der Blick ins Grüne, er bleibt vorerst reserviert.