Essen.. Evonik fühlt der Stimmung im Konzern mit einer weltweiten Mitarbeiterbefragung auf den Zahn. Wie zufrieden sind sie, wo drückt der Schuh? Aufgerufen sind über 31.000 Mitarbeiter in 50 Staaten. Die Teilnahme ist freiwillig, gilt aber als Arbeitszeit.

„Sitzen machen“ – so lautet der Lieblingsbefehl des Fabrikdirektors in der Billy Wilder-Komödie „Eins, zwei, drei“. Nicht gerade zimperlich geht der Berufs-Choleriker mit seinen Untergebenen um. Wie seine Mitarbeiter ticken oder wie motiviert sie sind, interessiert ihn nicht die Bohne. Wieso auch? Sie machen Sitz auf Kommando. Der Film ist wohl ein überspitztes Beispiel für die Irrungen der Arbeitswelt antiquierter Zeiten. Heutzutage legen Unternehmen mehr Wert auf einen guten Draht zu den Beschäftigten, etwa der Evonik-Konzern.

Bis Ende November sind nicht nur rund 2200 Beschäftigte an der Rellinghauser Straße und Goldschmidtstraße aufgerufen, sich an der dritten Mitarbeiterbefragung zu beteiligen. An 160 Standorten in 50 Ländern und in 17 Sprachen will das Chemie-Unternehmen auf Papier oder per Internet von seinen weltweit circa 31.500 Beschäftigten wissen, wie es um deren Zufriedenheit bestellt , wie groß die Verbundenheit mit dem eigenen Hause ist, aber auch wo genau der Schuh im Alltag drückt – anonym versteht sich. Die Teilnahme ist dabei freiwillig.

Beantworten gilt als Arbeitszeit

„Alle zwei Jahre führen wir die Mitarbeiterbefragung durch“, erklärt Patricia Vogt. Die 31-Jährige leitet das „aufwändige weltweite Projekt“, kümmert sich dabei um das Konzept des Fragebogens, stimmt es auf allen Konzern-Ebenen ab und klärt die Bestimmungen des Datenschutzes. 340 Umfragebetreuer, so genannte „Survey coaches“, sind in den verschiedenen Gesellschaften aktiv und begleiten die Aktion. 20 Minuten dauere das Ausfüllen, online gehe es noch schneller.

In seiner Pause muss dies aber niemand machen: „Die Beantwortung gilt als Arbeitszeit. Das hat der Vorstand in einem Schreiben deutlich gemacht, jeder Vorgesetzte wurde darüber informiert.“ Auch der Betriebsrat gab seinen Segen. Die Ergebnisse wertet später ein auf Befragungen spezialisiertes Unternehmen aus Köln aus: „Wir erhalten nachher nur die Berichte“, unterstreicht Vogt die Wahrung der Anonymität.

Über die Kosten für das nicht ganz uneigennützige Instrument mag Vogt auch keine Auskunft geben, aber wieso macht sich der Großkonzern dann die Mühe? „Als Evonik 2007 aus der Taufe gehoben wurde, war es uns wichtig zu erfahren, was die Belegschaft über Evonik als Arbeitgeber dachte. Es ging um ein konkretes Feedback der Mitarbeiter, um ihre Sicht und ihr Verhältnis zu Evonik. Für den Erfolg eines Unternehmens ist das bedeutend,“ so Vogt. Dass die Sicherung des wirtschaftlichen Erfolgs auch ein Hintergrund für solch eine Befragung ist, verneint sie nicht. „Das ist ein Thema für Unternehmen, genauso wie es ein Thema ist, dass man Mitarbeiter hat, die zufrieden sind und gerne zu ihrer Arbeit gehen. Beides greift ineinander“, ergänzt Konzernpressesprecher Ruben Thiel.

Als klaren Beleg dafür, dass die Methode positiv von den Mitarbeitern aufgenommen wird, sehen beide die hohe Rücklaufquote. „79 Prozent Beteiligung im Jahr 2010, das war außergewöhnlich hoch. Andere Firmen freuen sich, wenn es so um die 50 Prozent sind“, sagt Patricia Vogt über die Aussagekraft. Viele Befragte nutzten auch die Möglichkeit, ihrem Arbeitgeber Anregungen mit auf den Weg zu geben, die von den Fragen nicht erfasst wurden. Vogt verweist dabei gern auf den Konzern-Slogan: „Mitdenken. Mitteilen. Mitgestalten.“

Zu Privates nicht beantworten

„Solche Mitarbeiterbefragungen gehören bei Konzernen in dieser Größenordnung mittlerweile zum Standard“, sagt Prof. Dr. Wolfgang Stark. Er leitet das Labor für Organisationsentwicklung (OrgLab) an der Universität Essen-Duisburg und beschäftigt sich schwerpunktmäßig in seiner Arbeit mit den Themen Organisationskultur, Innovation sowie soziale Verantwortung in und von Organisationen. Er sieht mehrere Gründe, warum die Führungen von Unternehmen auf solche Instrumente der Mitarbeiter-Beteiligung zurückgreifen.

„Ich möchte herauskriegen, wie das Klima in meinem Betrieb ist, so dass ich bei vorhandenen unterschwelligen Konflikten in bestimmten Abteilungen gegensteuern kann“, erklärt der Forscher die Sichtweise der Konzernverantwortlichen. Befürchtung sei, dass Mitarbeiter innerlich kündigen könnten. Dem solle vorgebeugt werden, denn die Folgen kämen Firmen später teuer zu stehen. Das könne in die Milliarden gehen. „Der zweite Grund ist, dass die Unternehmen dies als Teil ihrer Kultur ansehen, etwa auch um die Gesundheit ihrer Beschäftigten zu fördern“, ergänzt Stark. Als Beispiel führt er die Wettbewerbssituation der Konzerne an. Unternehmen wollen ähnlich wie ihre Wettbewerber bei der Unternehmensverantwortung (Corporate Social Responsibility) gut positioniert sein, also bezieht man die Mitarbeiter durch Umfragen mit ein. Das könne zur Strategieentwicklung beitragen.

Branchenübliches Instrument

„Ich würde so eine Befragung stets kleinteilig aufbauen“, meint der Professor. 130 Fragen, wie beim Beispiel Evonik, könnten zu viele auf einmal sein. Wichtig sei, dass die Beantwortung als Arbeitszeit gelte, es auf freiwilliger Basis geschehe und der Betriebsrat im Vorhinein involviert ist. „Dennoch muss ich die Möglichkeit haben, zu Privates nicht beantworten zu müssen“, betont Wolfgang Stark. Ob die Ergebnisse solcher Befragungen auch im Geheimen der Vergleichsmöglichkeit unter Großkonzernen dienen? „Da bin ich skeptisch“, sagt er und findet: „Ich mache das als Unternehmensführung, weil das in der Branche üblich ist.“