Essen. . Nachhilfe ist ein großer Markt - auch in Essen. Allein die „Schülerhilfe“, einer der größten Anbieter, hat in Essen sieben Filialen. Einige werden im Franchise-System betrieben. Der Dauer-Einsatz von Nachhilfe schaffe Chancenungleichheit, sagen Kritiker. Zudem sei die Qualität der Angebote höchst unterschiedlich.

Sie heißen „McCheck“, „Back to School“ oder „Topnoten.de“ – die Liste ließe sich noch lange fortsetzen: Schon der Blick ins Branchenbuch vermittelt eine Ahnung von der schönen neuen Nachhilfe-Welt. Auch vor Ort ist das Angebot groß, überbieten sich Nachhilfeschulen im Werben um die junge Zielgruppe beziehungsweise deren Eltern. Deutschlandweit gibt es rund 3000 Anlaufstellen, das hat jüngst eine Erhebung im Auftrag des Bundesbildungsministeriums ergeben. „Da ist ein richtiger Wirtschaftszweig entstanden, der Aufgaben übernimmt, für die eigentlich die Schule zuständig ist“, sagt Dorothea Stommel, örtliche Vorsitzende des Verbands für Bildung und Erziehung (VBE). „Das dürfte es gar nicht geben.“

Unternehmen mit Franchise-System

Der Essener Bildungsforscher Klaus Klemm, der sich intensiv mit dem Thema Nachhilfe beschäftigt hat, teilt die Kritik. „Diese Industrie will das leisten, was eigentlich der Staat leisten müsste.“ Grundsätzlich hat Klemm gegen Nachhilfe nichts einzuwenden. Sie könne sinnvoll sein, wenn ein Kind zum Beispiel länger krank war, wenn es einen Ortswechsel gab oder Schwierigkeiten in der Familie. Doch die Nachfrage ist weit größer.

Professionell aufgestellte Ketten haben längst einen festen Platz auf dem Gebiet, das einst von Nachbarschaftshilfe und Studententätigkeit geprägt war. Allein die „Schülerhilfe“, einer der größten Anbieter, hat in Essen sieben Filialen. Einige der Schulen zwischen Werden und Altenessen, zwischen Steele und Borbeck führt das Unternehmen selbst, andere werden im Franchise-System betrieben, ein häufiges Phänomen in der Branche. Wie viele Kinder und Jugendliche die Schülerhilfe in Essen betreut, mag man nicht sagen. Die Zahl sei jedenfalls konstant.

Das Kind nicht "stolpern" lassen

Was Professor Klaus Klemm und andere Beobachter des Marktes nachdenklich stimmt: Die Nachhilfe dient offenbar nicht mehr nur der punktuellen Unterstützung, sondern wird zunehmend langfristig eingesetzt, damit Kinder bessere Leistungen erzielen – selbst wenn ihre Zensuren gar keinen Anlass zur Sorge geben. Während die Schülerhilfe das so nicht bestätigen will, erheben andere Anbieter die Langfristigkeit ausdrücklich zum Konzept.

Man wolle nicht erst ansetzen, „wenn das Kind schon gestolpert ist“, sagt Thorsten Kretschmer von „Kumon“. Das in Kettwig und Rüttenscheid mit Zweigstellen vertretene Unternehmen bezeichnet sich als „einer der weltweit größten Anbieter von privater Bildung“. Das Konzept sei wenig zeitintensiv, die Schüler lernen „jeden Tag kleine Häppchen“, so Kretschmer. Zwei Tage pro Woche kommen sie dafür in die Filiale, an den anderen Tagen absolvieren sie die 20- bis 30-minütigen Einheiten zu Hause. „Wir machen keine Nachhilfe, sondern Lernförderung.“ Eine Art Parallelschule also? „Das könnte man so sagen.“

Ein Massengeschäft 

Lernförderung ist ein Wort, das oft auftaucht in den bunten Broschüren und den Ausführungen der Anbieter über ihre jeweiligen Ansätze und Methoden. Umsonst ist diese Förderung freilich nicht – das schafft Ungerechtigkeit, kritisiert Professor Klemm.

„Wir haben es mit einem Massengeschäft zu tun, das immer mehr dazu dient, Kinder aus einkommensstärkeren Familien zu fördern.“ Chancenungleichheit fürchtet auch Dorothea Stommel vom VBE. Bisweilen sei es nicht echter Bedarf, sondern „Karriereorientiertheit“, die Eltern dazu bewege, für ihr Kind Nachhilfe in Anspruch zu nehmen, die andere Familien sich gar nicht leisten könnten.

Die Qualität der Angebote sei sehr unterschiedlich

Und noch etwas missfällt manchem Betrachter an der Entwicklung: Die Qualität der Angebote auf dem wachsenden Markt sei höchst unterschiedlich und für Eltern schwer einschätzbar. Die Unternehmen werben mit einer Vielzahl von Siegeln und Prüfzertifikaten. Nachhilfe kann jeder offerieren, eine staatliche Aufsicht gibt es nicht – auch wenn mancher Mitbewerber das suggeriert.

„Die Bezirksregierung prüft“ heißt es auf der Internetseite eines in Essen ansässigen Instituts in der Rubrik „Lehrkräfte“. Die Qualifikation neuer Lehrer werde durch den Leiter und „durch das zuständige Dezernat der Bezirksregierung bzw. der zuständigen Landesbehörde ein zweites Mal bewertet anlässlich der Prüfung gemäß § 4 Nr. 21 a.) bb.) UStG.“. Diese Prüfung gemäß des Umsatzsteuergesetzes habe „mit der Qualität der Nachhilfe nichts zu tun“, sagt eine Sprecherin der Bezirksregierung. „Wir prüfen keine Nachhilfeinstitute.“