Essen. . 50 Absolventen der VHS-Integrationskurse erhielten am Montag ihre Zertifikate. 50 Menschen mit unterschiedlichsten Lebensgeschichten, die eines vereint: die erste große Hürde genommen zu haben – die deutsche Grammatik.

„Die Sprache ist der erste Schritt in die Integration.“ Das ist womöglich d e r Satz, den sie als erstes auswendig konnten. Und den sie am Montagnachmittag nochmals von Elke Timm, der stellvertretenden Leiterin der Volkshochschule, zu hören bekamen – zur Eröffnung ihrer eigenen Abschlussfeier. 50 Migranten aus aller Welt, allesamt Absolventen der Integrationskurse aus dem Sommersemester 2012, erhielten ihre Abschlusszertifikate. 50 Menschen mit unterschiedlichsten Lebensgeschichten, die eines vereint: die erste große Hürde genommen zu haben – die deutsche Grammatik.

Mirasol Haupt ist 39 Jahre alt, trägt einen spanischen Vornamen, den deutschen Nachnamen ihres Mannes und wuchs auf den Philippinen mit Englisch auf. Vor sieben Jahren gab sie ihre Tauchschule auf und kam nach Deutschland – „der Liebe wegen“, wie sie sagt, „und ohne ein einziges Wort Deutsch zu können.“ Ihr Mann, der aus der Nähe von Freiburg kommt, spreche fließend Englisch, das war kein Problem. Trotzdem belegte sie noch im gleichen Jahr an der dortigen VHS ihren ersten Deutschkurs.

Ein großes Ziel vor Augen

„Ich will kein Klischee sein und ohne Sprachkenntnisse in einem fremden Land leben“, sagt die 39-Jährige. Jetzt erhielt sie ihren Schein über den Sprachkurs B1 (siehe Infokasten). Der beinhaltet übrigens keine Einführung in Ruhrpott-Deutsch. „Was ,watt’ und ,datt’ heißt, musste ich selbst herausfinden.“ Davon lässt sich die Filipina nicht entmutigen, im Gegenteil: „Es gibt keine Grenzen für mich, ich kann nie gut genug sein.“ Ihr Ziel: Dolmetscherin.

Übersetzen muss man Benjamin Okon kaum etwas. Obwohl er vor nicht einmal eineinhalb Jahren ankam, spricht er fast fließend Deutsch – neben Englisch und drei ghanaischen Landessprachen. „Aber die deutsche Grammatik ist wirklich schwierig“, befindet der 29-Jährige. Seine 15 Monate alte Tochter, für die er nach Deutschland auswanderte, wächst „dank der deutschen Mutter zum Glück zweisprachig auf“.

Okon war in Ghana Spezialist für Computer-Netzwerke, „ab Juli 2013 werde ich meine Ausbildung zum Fachinformatiker machen“, erzählt er, „das Jobcenter verlangt dafür einen Sprachkurs mit dem Niveau B2. Aber ich will noch besser sein.“

Motivation ist durch und durch hoch 

Dass die Motivation tatsächlich bei allen Kursteilnehmern hoch ist, bestätigt Heike Reintanz-Vanselow, die seit zwei Jahren Leiterin des Fachbereichs für Integrationskurse an der VHS ist: „Auch wenn die Sprachnachweise eine Verpflichtung für eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung sind – die meisten sehen die Möglichkeiten hier als Geschenk.“ Und zumindest die Hälfte der Kosten übernimmt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – Sozialhilfe-Empfänger sind auch von den Restkosten befreit.

Frei fühlt sich Kubilay Aydogdu noch nicht so ganz – zumindest was das Sprechen angeht. Es dauert eine Weile, bis er antwortet. „Ich bin seit elf Monaten hier“, sagt der 25-Jährige zögerlich, aber fehlerlos. In seiner Heimat, einem Dorf im Norden der Türkei, habe er als Vermessungstechniker gearbeitet. Familie und Freunde hat er nun zurückgelassen, um in Deutschland Bauingenieurwesen zu studieren. „Aber zuerst muss ich mein Deutsch verbessern“, fügt er hinzu. Das Zertifikat, das er jetzt erhielt, reiche ihm noch nicht. Er wird weitere Kurse besuchen, denn seine Wohngemeinschaft – mit zwei türkischen Mitbewohnern – helfe ihm leider wenig weiter.

660 Unterrichtsstunden sind pflicht

Für eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung müssen Neuzuwanderer in Deutschland Sprachkenntnisse auf dem Niveau B1 nachweisen.

Die Stufen sind im „Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen“ von A1 (einfache Verständigung) bis C1 (anspruchsvolle, fließende Sprachkenntnisse) festgelegt. Niveau B1 liegt dabei genau im Mittelfeld.

Für ein Zertifikat der Stufe B1 müssen 600 Unterrichtsstunden im Sprachkurs und 60 Stunden in deutscher Geschichte, Politik und Gesellschaft absolviert werden. Kosten für Selbstzahler: etwa 1600 Euro.

Sieben Millionen Euro standen der Stadt 2011 für Integrations-Sprachkurse insgesamt zur Verfügung, aus dem bundesweiten Etat von 216 Millionen.

Die Finanzierung für die kommenden Jahre sei gesichert, so Klaus-Peter Kruse, Regionalkoordinator vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

An der VHS lernen jährlich rund 200 Teilnehmer Deutsch in Integrationskursen – für Analphabeten bis Akademiker gibt es verschiedenste Angebote.

Beratung: Heike Reintanz-Vanselow, Infos: 88 43 222 und www.vhs-essen.de/heikereintanz.htm