Die Bilanz ist ernüchternd. Rund 20 Prozent aller Menschen versterben im ersten halben Jahr nach Einzug in ein Seniorenheim, „ein weiteres Drittel binnen Jahresfrist“, erklärt die Palliativmedizinerin Dr. Marianne Kloke. „Oft ziehen die Bewohner erst sehr nah am Lebensende in ein Heim und leiden dort in den Tod hinein.“ Immer älter werden die Menschen „und damit ist das Pflegepersonal immer öfter mit Krankheiten konfrontiert, die vor 20 oder 30 Jahren in dieser Intensität kaum vorkamen.“
Pflegepersonal und in Heimen tätige Hausärzte zu schulen, sie zu sensibilisieren für das Leid von Geriatrie-Patienten, hat sich der Verein Menschenmögliches zum Ziel gesetzt und ein „lernendes Projekt“ initiiert, das Daten und Erfahrungswerte von Pflegekräften bündeln soll. „Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass sich eine Demenz nur im Kopf abspielt“, sagt Kloke, „denn der Kopf ist das Steuerungszentrum für Muskeln und Organe und damit leiden Demenzpatienten in der letzten Lebensphase an den verschiedensten Organerkrankungen.“
Doch wie geht man damit um? „Pflegekräfte lernen in ihrer Ausbildung, zu motivieren und zu aktivieren. Doch in unserem Projekt geht es um Menschen, die nicht mehr zu aktivieren sind, nicht mehr mitteilen können, ob sie Schmerzen haben und leiden. Da ist Empathie gefragt und Fachwissen aus der Palliativ-Medizin, um die letzte Lebensphase zu erleichtern und erträglicher zu gestalten.“ Beides zusammen zu bringen will der Verein Handlungsempfehlungen geben, weitere Mitarbeiter und Mediziner schulen, um die Arbeit des Vereins in die Breite zu bringen.
Gestartet ist das Projekt bereits im Juli in den vier Essener Einrichtungen Adolphi-Stiftung mit dem Adolphinum und dem Haus Abendfrieden sowie im Ev. Altenzentrum am Emscherpark und in der Geriatrischen Einrichtung der Kliniken Essen-Mitte. Gearbeitet wird nach dem Grundsatz: Im Mittelpunkt steht der Mensch bei möglichst geringem Technik-Einsatz. „Die Akzeptanz und das Interesse in den Häusern sind groß“, sagt Palliativpflege-Fachkraft Maria Degner. Sie arbeitet in den Heimen, bemüht sich, die Patienten kennen zu lernen, die Pflegekräfte und Mediziner in ihrer Arbeit zu sensibilisieren und begleiten.
Außer Frage – Degner und Kloke sind in der Palliativ-Versorgung versierte Kräfte, doch mit dem Palliativ-Projekt für Geriatriepatienten in Seniorenheimen betreten auch sie Neuland. „Die Palliativmedizin ist primär auf Tumorpatienten ausgerichtet. Da haben wir sehr gute Handlungsempfehlungen, die bundesweit angewandt werden.“ Ziel sei es, die gleiche Versorgungsqualität nun auch Geriatrie-Patienten in Heimen zu ermöglichen – in Essen, NRW, bundesweit.