Essen. . Die Stadt denkt über ein neues Sirenensystem nach, um die Bürger im Schadensfall besser warnen zu können.

Der Kalte Krieg ließ frösteln, als der Warschauer Pakt den Westen von Osten her zu bedrohen schien, die Bundespost das Telefonieren erklärte und sich auf der Rückseite des einst „Amtlichen Verzeichnisses der Ortsnetzkennzahlen“ noch zahlreiche Zivilschutzempfehlungen für den möglichen Verteidigungsfall fanden. Darunter ein Sammelsurium unterbrochener Linien und durchlaufender Wellen als Symbole für sechs- und zwölfsekündige Töne, auf- und abschwellendes Heulen oder einminütige akustische Dauernerver, die wohl nur deshalb zu ertragen gewesen wären, weil sie den Bürgern die erhoffte Entwarnung gegeben hätten.

Insgesamt 220 Sirenen auf Gebäudedächern machten auch Essen einst zur Stadt der besonders schrillen Pilzköpfe, bis eine gefühlt bedrohungslose Bundesregierung im November 1993 mit einem Paukenschlag verfügte: Die Tonschleudern kommen weg. Um erst gar keine Widersprüche des einen oder anderen lokalpolitischen Lautsprechers aufkommen zu lassen, bezahlte Bonn sogar den flächendeckenden Abbau, wenn’s denn so gewünscht war.

Die Vorbereitungen laufen bereits

Danach blieb’s in der Stadt nahezu ein Jahrzehnt ruhig. Doch nun gibt’s offenbar einen neuen Grund zum Heulen: „Ich als Feuerwehrdezernent überlege, ob wir als Kommune ein solches Sirenensystem wieder benötigen“, sagte Christian Kromberg jetzt gegenüber der NRZ.

Die Vorbereitungen dafür laufen bereits: Die Feuerwehr hat eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die zurzeit herausfinden soll, was eine flächendeckende Beschallung für den Notfall kosten würde. Fest steht: Die neuen Systeme sind leistungsstärker, es bräuchte also weit weniger Schallschleudern als noch in den 70er und 80er Jahren. Mittels einer Simulation wollen die Experten nun herausfinden, wie viele der inzwischen vom Pilz am Stiel zum Horn mutierten Krachmacher tatsächlich benötigt werden, um einen Alarm bis in die hintersten Winkel der Stadt hörbar zu machen.

In ein paar Wochen bereits sollen erste Vorschläge auf dem Tisch liegen, sagt Feuerwehrchef Ulrich Bogdahn, für den schon jetzt feststeht: „Wenn wir zu einem vernünftigen Ergebnis kommen, werden wir das auch umsetzen.“ Vernünftig heißt in diesem Fall: Bezahlbar muss es sein. Münster zum Beispiel habe für ein ähnliches Vorhaben mit „mehreren hunderttausend Euro kalkuliert“.

Zusätzliche Investition in die Sicherheit

Die Rückkehr der Heuler wäre eine zusätzliche Investition in die Sicherheit der Bürger, meint Bogdahn. Für den Feuerwehr-Chef gibt es im Schadensfall jedenfalls „keine bessere Alternative“ als ein Sirenensystem, um die Bevölkerung vor Ort zu warnen und gleichzeitig zu animieren, das Radio einzuschalten, um bei Überschwemmungen, nach Explosionen oder während Großbränden mit womöglich giftigen Rauchschwaden zu erfahren, wie man sich zu verhalten hat. Der reflexartige Standardhinweis „Türen und Fenster geschlossen halten“ hilft nicht in jedem Schadensfall weiter.

Während sich Bund und Land seit Jahren komplexer elektronischer Alarmierungs-Systeme mit bis zu 160 aufgeschalteten Radio- und Fernsehsendern bedienen könnten, seien Sirenen eigentlich die einzige kommunale Möglichkeit, um raumgreifend Alarm in einer Stadt auszulösen, wie es vor wenigen Wochen eigentlich Not getan hätte. „Wir haben noch ein Kommunikationsproblem – unter uns und gegenüber dem Bürger“, heißt das Fazit des Essener Feuerwehr-Chefs aus den jüngsten Erfahrungen nach dem Krefelder Großbrand, als im September ein Düngemittellager in Flammen aufging.

Nachdem sich der Himmel über dem Revier verdunkelt hatte, ging den Verantwortlichen nach und nach ein Licht auf – zumindest im Nachhinein: Die Behörden hatten zu einem entscheidenden Zeitpunkt völlig unterschiedliche Kenntnisstände über das wahre Ausmaß der Katastrophe und gaben folglich mehr oder weniger hilfreiche Hinweise für das richtige Verhalten der Bürger (die NRZ berichtete). Aus diesem Grund wirft Bogdahn am 23. November auf der Experten-Tagung „Interkommunale Zusammenarbeit 2012“ im Zukunfts-Zentrum Zollverein die Frage auf: „Wie lässt sich die Bevölkerung zeitnah warnen?“ Die Antwort kann er seinen Gästen eigentlich jetzt schon geben: „Am effektivsten mit Sirenen.“