Dass man eine Stadt lieben kann und dennoch - oder gerade deshalb - immer wieder auch harte Kritik übt, ist ein Gedanke, der nicht jedem in Essen einleuchtet. Im Gespräch mit dem Architekten Axel Koschany fühlt man sich da etwas besser verstanden. Koschany ist einer von fünf „Paten“, die der Oberbürgermeister berufen hat, um die Themenfelder des bislang eher sperrigen Strukturprozesses „Essen 2030“ dauerhaft zu debattieren und in die Stadtgesellschaft hineinzutragen. Koschany könnte eine gute Wahl sein, weil hier nicht das oft übliche Mittelmaß Trumpf ist, sondern eine Leidenschaft, die Gutes von Schlechten zu unterscheiden weiß das ist gerade beim Thema „Urbanität“ wichtig, für das er zuständig ist.
Urbanität ist für den Familienvater die Lebens- und Aufenthaltsqualität einer Stadt, die Chance zur Begegnung, eine gewisse Spannung, Kommunikation, auch Dichte. In Essen lieben es nicht wenige, mitten in der Stadt Dorf zu spielen - das ist nicht Koschanys Welt. „Ich kriege einen dicken Hals, wenn ich an die Diskussionen in Rüttenscheid über Tische und Stühle auf den Straßen denke.“ Provinzielles Denken, wie es schlimmer nicht sein kann.
Schon in seiner Vorstellung auf der Webseite von „Essen 2030“ macht Koschany erst mal ein Fass auf: „Gepflegtere Straßen, lebendige Quartiere und mehr Grün in der Innenstadt erzeugen mehr Lebensqualität als Slogans und Industriekultur-Nostalgie.“ Gedankenexperiment: „Wenn Sie die Augen schließen und an eine schöne Stadt denken, fallen ihnen keine Slogans ein, sondern Straßen, Plätze, Cafes - Atmosphäre eben“, sagt er. Fast ein Naturgesetz: Selbstunsichere Städte flüchten sich ins Sprücheklopfen.
Das gute Beispiel Rüttenscheid
Den Architekten nervt auch, dass sich viele in Essen hinter dem regionalen Denken verschanzen und das Städtische dadurch geschwächt wird. „Uns fehlt der Anspruch, wirklich Stadt sein zu wollen.“ Er selbst habe Debatten erlebt, bei der am Ende die bange Frage kam: „Sollten wir nicht besser was für die Region tun?“ Falsche Sicht, meint Koschany. Essen habe allen Grund, den Kopf selbstbewusst aus der Grasnarbe zu heben und könne trotzdem ein guter, fairer Nachbar sein.
Der 51-Jährige, dessen Vater bereits ein bekannter Essener Architekt war, hat kein Problem mit Selbstbewusstsein und denkt gar nicht daran, sich womöglich noch für Essen zu entschuldigen: „Ich liebe diese Stadt, deswegen setze ich mich mit ganzem Herzen für sie ein.“ Und vieles stimme ja bereits optimistisch. „In Rüttenscheid gibt es Quartiere, die mein Bild von Urbanität perfekt abbilden.“ Die Innenstadt ist problematischer, aber rund um die Lichtburg sei viel erreicht. Der Salzmarkt mit den schönen Bäumen - „wird leider derzeit unter Wert verkauft“. Die Viehofer Straße - im Moment eher was zum Durchlaufen, ja Durcheilen - „aber das kann sich ändern“. Der Innenstadt fehle leider eine Wohnbevölkerung, die sich stark macht.
Koschany wirbt für den Mut, Ansprüche zu stellen, auf Qualität zu setzen, sich eben nicht mit dem Erstbesten zufriedenzugeben. Gibt es genügend urbane Persönlichkeiten in Essen, die das schätzen, was er für richtig und zukunftsträchtig hält? „Stadtbürger sind wohl eher die jüngeren, nicht so sehr meine Generation und älter“, meint er. Viele Essener seien eher Stadtteilmenschen, „so ist Essen entstanden“. Und damit die Stadt sich nicht wieder in ihre Einzelteile zerlegt, dafür sei eben „Essen 2030“ eine Chance. Wo das Feuer und die Leidenschaft herkommen sollen, weiß Koschany allerdings auch noch nicht. Er weiß nur eins: „Wir haben eine Zukunft, und zwar was für eine.“ Na dann.