Sie kommen früh in diesem Jahr und besonders zahlreich: Roma aus Serbien und Mazedonien bringen die Stadt Zug um Zug, Bus um Bus in die Bredouille. Denn die Familien füllen schon jetzt, weit vor dem Winter, die zehn Not-Unterkünfte in Essen bis zur Grenze ihrer Aufnahmekapazität. Es wird eng und vermutlich noch enger: „Es gibt Anzeichen dafür, dass mehr einreisen“, heißt die Einschätzung in der Sozialverwaltung.
Viele Reservengibt’s nicht mehr
Anfang Oktober waren in den Übergangsheimen bereits 584 Menschen untergebracht. Das sind deutlich über 100 mehr als zum selben Zeitpunkt des vergangenen Jahres. Viel mehr als 600 Asylbewerber aber verpacken die zehn Häuser nicht, die die Stadt noch in Betrieb hat. Mehr als die doppelte Zahl von Einrichtungen aus der Hochzeit der Flüchtlingsströme Anfang der 90er Jahre wurde bekanntlich stillgelegt, abgerissen, dem Verfall überlassen. Viele Reserven gibt’s heute nicht mehr (die NRZ berichtete). Deshalb wird jetzt nach Lösungen gesucht: Dabei wird es absehbar allein nicht reichen, das Heim an der Gerhardstraße in Schonnebeck wieder zu eröffnen, wie es aktuell geplant ist. Das frisch sanierte Haus bietet gerade einmal 40 Menschen Platz. Die Stadt muss mehr tun, auch weil kaum absehbar ist, wann Essen von den Flüchtlingsströmen der Menschen aus Syrien, Irak, Iran und Afghanistan erfasst wird. Tatsache ist: Die Lager des Landes platzen schon aus allen Nähten. Die Stadt muss mit Zuweisungen rechnen, weil die Aufnahmequote mit 97 Prozent noch nicht erfüllt ist.
Um vorbereitet zu sein, auf diejenigen, die zusätzlich zu den Roma kommen können, sind in den nächsten 14 Tagen Verhandlungen mit örtlichen Wohnungsbauunternehmen geplant mit dem erklärten Ziel: Wo und wann immer möglich die mietfähigen unter den Flüchtlingsfamilien, die zum Teil seit Jahren in den Übergangsheimen der Stadt leben, in leer stehenden Wohnungen unterzubringen. Der Immobilienmarkt macht eine solche Lösung möglich, sagt Sozialdezernent Peter Renzel: „So können und wollen wir Platz in den Unterkünften schaffen.“ Das sei allemal „besser, als irgendwann Turnhallen belegen zu müssen“. Nach zusätzlichen Unterkunftsstandorten werde zurzeit jedenfalls nicht gesucht.
Vor einem Umzug in eine Wohnung „gucken wir uns jede einzelne Familie an“, so Renzel, der eine soziale Begleitung bei den ersten Schritten in die Stadtteile sicherstellen will. An potenzielle Vermieter appelliert der Sozialdezernent, sich an die Stadt zu wenden.
Während sich die EU-Roma aus Bulgarien und Rumänien vor allem in Duisburg und Dortmund niederlassen, handelt es sich bei den Familien aus Serbien und Mazedonien, die in die Stadt kommen, um so genannte „Folgeantragsteller“. Menschen also, die schon einmal in Deutschland waren, Essen zugewiesen wurden und damals wie heute in der Regel ohne ausreichenden Asylgrund im Rahmen der Visa-Freiheit einreisen – sei es aus politischen, klimatischen oder wirtschaftlichen Gründen. Unter den 318 Menschen aus Serbien und 98 aus Mazedonien waren bislang gerade einmal 14 Erstantragsteller.
Auf der Suche nach einer Erklärung für den aktuell stärkeren Zustrom sind die Städte schnell fündig geworden: Das Bundesverfassungsgerichts-Urteil, das eine deutliche Anhebung der Leistungen für Asylbewerber verlangte, habe sich schnell unter den Menschen auf dem Balkan herumgesprochen. Anstatt 224 gibt’s nun erst einmal 336 Euro monatlich plus eventueller rückwirkender Zahlungen bis zum Januar 2011, die die Stadt noch überprüfe, sagt Peter Renzel, der die Mehrausgaben überschlagen hat: Es sind rund 1,5 Millionen Euro.