Die Ruhrlandschule, ein weißer Bau am Rande des Klinikum-Geländes in Holsterhausen, ist 1996 neu errichtet worden für 50 Schüler. Die dreifache Menge wird derzeit dort und in den Stationen der umliegenden Krankenhäuser unterrichtet. Pro Jahr, sagt Schulleiter Hermann Frey, kommen und gehen rund 1000 Kinder und Jugendliche. Sie kommen, weil sie krank sind, mehr als 80 Prozent haben akute psychische Leiden. 1000 Kinder und Jugendliche. Frey: „Vor zehn Jahren war es noch ungefähr die Hälfte. Der Druck in den Schulen ist größer geworden. Leistungsdruck kann Schüler krank machen. Dann klaffen Anspruch und Selbstwertgefühl immer weiter auseinander.“

Jeden kann es treffen

Jeden kann es treffen. Jeder kann in eine so schwere Krise geraten, dass Alltag – und der Besuch der regulären Schule – nicht mehr möglich sind. So gesehen: Die Ruhrlandschule, die einzige offizielle „Schule für Kranke“ in Essen, ist eine Schule für alle Kinder und Jugendlichen dieser Stadt.

Jugendliche wie Charlotte (Name geändert) zum Beispiel. Sie ist 19 Jahre alt und ging bis zum Beginn des Jahres an ein renommiertes Gymnasium. Dann kam sie in eine schwere Krise, die jetzt und hier nicht näher beschrieben werden kann. „Wir versuchen jetzt, sie zu stabilisieren“, sagt der Schulleiter.

Stabilisieren, das heißt auch: Charlotte erhält die Gelegenheit, sich mit ihren Mitteln auszudrücken. Sie hat einige Fotos, die sie in den letzten Jahren geschossen hat, ausgestellt. Die Schau ist neulich feierlich eröffnet worden, es gab Reden und Essen und Trinken; der Abend war ausgerichtet worden für die vielen ehemaligen Helfer, die in der Ruhrlandschule arbeiten.

Bei dieser Gelegenheit bekam die Ruhrlandschule eine neue Spende des Helmholtz-Gymnasiums Rüttenscheid überreicht. Beide Schulen pflegen eine offizielle Kooperation. Das ist ungewöhnlich, weil sich die Schüler nie begegnen werden; die Datenschutz-Regeln, die Ruhrlandschule betreffend, verhindern das.

Jedenfalls: Charlotte hat ihre Fotos jetzt für einige Wochen ausgestellt, sie fotografiert seit Jahren gern, als sie zum 17. Geburtstag eine Spiegelreflexkamera geschenkt bekam, hat sie das als echten „Durchbruch“ empfunden. Im Sommer 2011 fuhr sie nach Berlin, fotografierte viel im nächtlichen Kreuzberg. Schulleiter Hermann Frey findet ein grau verschwommenes Bild am besten, Charlotte hat es „Reisende“ genannt. Frey findet, besser kann man seine Schüler nicht bezeichnen. Irgendwann wird Charlotte wieder an ihre alte Schule gehen und das Abi nachmachen. Wann das sein wird, weiß jetzt wohl noch niemand. Es gibt keinen Grund für die Beteiligten, pessimistisch zu sein.