Essen. Essen sucht nach einem eigenen Konzept im Umgang mit der Alkoholiker-Szene in der Innenstadt. Das Dortmunder Modell eines Trinkraums hält die Stadt offenbar für wenig attraktiv. Stattdessen will man “bestehende Einrichtungen“ für Trinker öffnen, hieß es bei der Diskussionsrunde “Essen kontrovers“.

Anstatt „bis zu 200.000 Euro“ in eine neue Einrichtung zu investieren, von deren positiver Wirkung man nicht ansatzweise überzeugt sei, sollen sich bereits bestehende Einrichtungen für Trinker öffnen. So könne etwa das existierende Alkoholverbot zum Beispiel im Krisencafé der Suchthilfe zu diesem Zweck aufgehoben werden.

Die Szene, die sich dann dort anstatt auf der Straße treffe, könne über soziale Arbeit und Beratung eng an die Einrichtung gebunden und wann immer möglich in Therapien vermittelt werden. Vorbehaltlich weiterer Überlegungen werde die Stadtverwaltung diesen Vorschlag voraussichtlich im Januar zur politischen Entscheidung vorlegen, kündigte Renzel am Mittwochabend bei „Essen kontrovers“, der von der Journalistin Stephanie Grimme moderierten Diskussionsrunde von Volkshochschule und NRZ, an.

Auswüchse nicht hinnehmbar

So strittig wie sonst ging’s dabei gar nicht zu: Zwar lagen sich das Publikum und die Diskutanten nach einem eineinhalbstündigen Austausch von Argumenten nicht glückselig wie die Saufkumpane in den Armen. In einem Punkt jedoch waren alle nah beieinander: Die Auswüchse der Trinker-Treffen vor allem am Willy-Brandt-Platz sind genauso wenig hinnehmbar wie eine reine Verdrängung oder Ausgrenzung der Menschen. Nach dem Vorbild des Vorgehens gegen die frühere Drogenszene am Hauptbahnhof müsse es neben ordnungsrechtlichem Druck auch Hilfsangebote und Alternativen geben.

„Wir haben die Aufgabe, die Balance zwischen Intervention und sozialer Arbeit zu finden“, meinte Renzel, während Christiane Moos (CDU) von der Bezirksvertretung I noch einmal drastisch die Beschwerden von Geschäftsleuten und Bürgern schilderte: Der Eingang eines Ärztehauses werde regelmäßig als WC missbraucht. Vor der Ankunft erster Kunden müssten Arzthelferinnen wie Gewerbetreibende Fäkalien, Urin und die Reste zerbrochener Flaschen beseitigen. Besucher von Cafés werden bepöbelt, die Hunde Betrunkener laufen unangeleint herum und machen Passanten Angst, Geschäftsleute befürchten, dass ihnen noch mehr Kunden wegbleiben.

Ein generelles Alkoholverbot in der Öffentlichkeit sei nicht durchsetzbar. Das Grundrecht auf freie Entfaltung gelte eben auch für Trinker, machte Wilhelm Steitz deutlich, der als Ordnungsdezernent der Stadt Dortmund den Betreiber des dortigen Trinkraums Café Berta, Thomas Thanscheidt, nach Essen begleitete. Jedoch biete das ordnungsrechtliche Instrumentarium der Stadt Essen genügend Möglichkeiten gegen die beschriebenen Folgen exzessiven Saufens vorzugehen.

Dortmunder Modell nicht übertragbar

Für Thanscheidt macht ein Saufraum in Dortmund durchaus Sinn, doch selbst der Betreiber der Einrichtung räumt ein, dass sich das Modell nicht eins zu eins auf Essen übertragen lasse. Während sich in der Borussen-Stadt die Säufer vor allem auf dem Nordmarkt treffen, gibt es in Essen nach Renzels Beobachtung 38 Orte, wo sich mehr oder weniger Trinker mehr oder weniger regelmäßig treffen: „Wir haben die nicht nur an einem Platz.“ Auch deshalb mache ein zentraler Anlaufpunkt wenig Sinn, „wir müssen das im bestehenden System der Suchthilfe in den Griff kriegen“.

Während Christina Moos meinte: „Renzels Idee ist sinnvoll“, erfuhr der Dezernent auch aus seiner Ratsfraktion Zustimmung. Deren sozialpolitische Sprecherin Jutta Eckenbach ließ sich aus dem Publikum vernehmen: „Wir öffnen Einrichtungen und stellen Personal zur Verfügung.“ Für das treffende Schlusswort des Abends sorgte jedoch ein Ex-Alkoholiker, der nach 20 Jahren der Abhängigkeit jetzt beim Suchtnotruf arbeitet, um den teils kranken Menschen helfen zu können: „Glauben Sie nicht“, wandte er sich ans Publikum, „die trinken aus Jux und Dollerei. Sie tun’s, weil sie keine Perspektive mehr sehen für ihr Leben.“