Essen. Der doppelte Abijahrgang wirft 2013 einmalig mehr Bewerber als sonst auf den Ausbildungsmarkt. Die Unternehmen haben die Qual der Wahl – Schüler sollten sich bereits jetzt bewerben.

Bürokauffrau bei einem der großen Dax-Unternehmen in der Innenstadt werden? Oder doch lieber den gehobenen Verwaltungsdienst bei der Stadt im dualen Studiengang als „Bachelor of Law“ anstreben? Abiturienten des Doppeljahrgangs 2013 haben ihr letztes Schuljahr gerade erst begonnen, doch viel Zeit für die berufliche Zukunftsplanung bleibt ihnen nicht mehr.

Denn: Die sich einmalig fast verdoppelnde Zahl an Abiturienten sorgt für mehr Wettbewerb auf dem Lehrstellenmarkt. Diejenigen, die kein Studium, sondern eine Ausbildung oder einen dualen Studiengang (Ausbildung plus Studium) favorisieren, sollten sich bis Herbst bei ihren Wunschbetrieben beworben haben. Und die Unternehmen hoffen derweil, mit dem Bewerber-Mehr ihren Bedarf an künftigen Fachkräften stillen zu können.

Einmalige Chance für Firmen

Mit 4419 Essenern, die im Jahr 2012/2013 ihre Schullaufbahn mit dem Abi abschließen, rechnet die Stadt Essen. Allein 3798 Abiturienten bringen laut Presseamt die Gymnasien durch ihre doppelten Jahrgänge hervor. Im Vergleich: 2011 verließen 2076 Essener das Gymnasium mit Abi, 2012 waren es 2228. Nach dem großen Rutsch 2013 nehmen die Abiturientenzahlen kontinuierlich ab. Laut örtlicher Arbeitsagentur sinkt die Zahl derjenigen mit allgemeiner Hochschulreife von rund 2500 im Jahr 2014 auf rund 2150 im Jahr 2020.

Werbetrommel mit eigener Kampagne

Letztere rührt ebenfalls die Werbetrommel mit einer eigenen Kampagne namens „Ausbildung + Studium“, die Abgängern eine Kombination aus beidem schmackhaft machen soll (siehe Infokasten). Dass nicht alle Abiturienten auf den Lehrstellenmarkt strömen werden, ist zwar auch Heinz-Jürgen Guß bewusst, aber: „Wir rechnen damit, dass im nächsten Jahr rund 1500 Abiturienten mehr aus der Region Mülheim-Essen-Oberhausen dort landen. Und zwei Drittel davon werden aus Essen sein.“

Mehr Bewerber, also mehr Ratsuchende? Das bestätigt Heike Börries, Sprecherin der Arbeitsagentur: „Wir haben zusätzliche Berater für die Gymnasien im Einsatz, da die Berufsorientierung in der Vorentlassklasse als präventiver Ansatz startet.“ Ferner habe man ein Programm auf die Beine gestellt, das aus Infoveranstaltungen bestehe. Auftakt am Berliner Platz ist am 19. September.

Ausbildungskapazitäten erhöhen nur wenige Firmen

Bei aller Konzentration auf Abiturienten sollten sich Realschüler oder Abgänger mit Fachhochschulreife aber nicht abschrecken lassen. Sorgen, dass der Abiturienten-Tross die Chancen der anderen etwa auf eine betriebliche Ausbildung schmälert, hat der Essener Unternehmensverband nicht: „Einen Verdrängungswettbewerb befürchten wir nicht. Nach wie vor sind für viele Berufe gerade im gewerblich-technischen Bereich auch andere Schulabschlüsse gefragt“, sagt EUV-Hauptgeschäftsführer Ulrich Kanders.

Anders sieht es bei der Frage aus, ob mehr Abiturienten auch ein Mehr beim Lehrstellenangebot der Firmen bedeuten: „Die Möglichkeit, mehr Plätze einzurichten, ist von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich. Wir sind aber optimistisch, dass sie sich auf die steigende Schulabgängerzahl einstellen“, meint Kanders. Natürlich hänge das maßgeblich von der Auftragslage ab. Dass nicht alle Firmen an einer Aufstockung ihrer Ausbildungskapazitäten denken, zeigt eine NRZ-Recherche bei verschiedenen großen Arbeitgebern in der Stadt.

„In der Stadtverwaltung werden 125 Plätze für Auszubildende entstehen. Das sind 20 mehr als 2012“, sagt Renate Kusch vom Presseamt. Hintergrund sei aber nicht nur der doppelte Abiturjahrgang, sondern auch die demografische Situation.

Bei der Sparkasse Essen sucht man bereits seit Mai neue Azubis. „Zehn haben wir schon eingestellt“, sagt Sprecher Volker Schleede. 65 weitere werden noch folgen, eine Steigerung von 25 Stellen gegenüber dem Vorjahr. Als Vorlaufzeit für eine Bewerbung bei der Sparkasse nennt er ein Jahr. „Wir haben bereits 25 Prozent mehr Anfragen“, berichtet etwa Dieter Remy von der Allbau AG. Dabei bietet die Stadttochter nur drei Lehrstellen für Immobilienkaufleute.

„Wir bilden bereits über eigenem Bedarf aus“

Bei einigen DAX-Konzernen sieht das anders aus. „Wir bilden bereits über dem eigenen Bedarf aus“, sagt Anja Wollschläger von RWE Deutschland. Insgesamt schaffe man 1646 Plätze im nächsten Jahr, 99 davon in Essen. Im Gesamtkonzern seien es 322 an Standorten vor Ort. „Bewerbungsschluss ist bei uns, wenn alle Plätze vergeben worden sind. Es gibt aber Wartelisten, so dass Kandidaten nachrutschen können, wenn andere, die eine Zusage bekommen haben, doch noch abspringen.“ Vor Papierstapeln braucht sich die Personalabteilung nicht zu fürchten: Alle Bewerbungen liefen über ein „E-Recruiting“ im Internet .

In den Herbstferien bewerben

Die Herbstferien nennt Kilian Rötzer von Thyssen-Krupp als guten Zeitpunkt für eine Bewerbung. Rund 50 neue Ausbildungsstellen biete der Konzern. „Durch den doppelten Abiturjahrgang wird sich an unserem Bewerbungsverfahren grundsätzlich nichts ändern“, erklärt er. Die Anzahl der Plätze richte sich nach dem zu erwartenden Fachkräftebedarf der kommenden Jahre.

Ebenso bilde man seit langem über dem eigenen Bedarf aus. Das bestätigt auch Ruben Thiel von Evonik. „Auch 2013 planen wir erneut Ausbildungseinstellungen auf hohem Niveau“, so Thiel. Ein Ziel sei jedoch, das Auswahlverfahren weiter zu beschleunigen: „Junge Bewerber sollen möglichst schnell eine Rückmeldung und Klarheit erhalten.“