Essen. Unternehmensverband und Kreishandwerkerschaft in Essen fürchten, die Strategie „Essen 2030“ des Oberbürgermeisters Reinhard Paß gerate zu einer „Wohlfühldebatte“ ohne ökonomische Erdung. Ulrich Kanders, Hauptgeschäftsführer des Unternehmensverbands: „Der OB muss sich fragen, ob er uns nicht gerne dabei haben möchte.“
Wohin geht’s mit dieser Stadt, wie wollen die Bürger leben, welche Identität, welches Selbstbild hat Essen eigentlich? Fragen, die im Rahmen des Strukturprozesses „Essen 2030“ erörtert werden sollen, im September wird es - unter Federführung der Stadt - dazu eine breite Bürgerbefragung geben. Oberbürgermeister Reinhard Paß will den Prozess nutzen, um Bürgernähe zu demonstrieren und Essen voran zu bringen.
Es gehe darum, „die Attraktivität der Stadt und die wirtschaftliche Stärke für die Zukunft zu sichern und auszubauen“, so Paß. Wichtige Verbände der Essener Wirtschaft sehen sich allerdings bislang kaum in die Diskussionsprozesse eingebunden. „Das beunruhigt uns“, sagt Ulrich Kanders, Hauptgeschäftsführer des Essener Unternehmensverbands (EUV), in dem neben vielen Mittelständlern auch die großen Essener Konzerne Mitglied sind. „Der OB muss sich fragen, ob er uns nicht gerne dabei haben möchte“, so Kanders.
Keine "Wohlfühldebatte"
Abgesehen davon, dass Wirtschaftsleute ebenfalls Bürger der Stadt seien, hält Kanders wirtschaftspolitische Themen wie Infrastruktur und die Bereitstellung von Arbeitsplätzen für unabdingbar bei der 2030-Debatte. Dabei gehe es nicht zuletzt um eine gewisse Erdung, damit das Ganze nicht in eine „Wohlfühldebatte“ ohne handfeste Ergebnisse abgleite.
Diese Gefahr sieht auch Ulrich Meier, Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft: „Was bisher stattfand, das Forum mit den Jugendlichen, da wurde doch arg weitläufig herumgesponnen“, sagt er. Und: „Mich ärgert, wenn da Beratungsfirmen wie Roland Berger hohe sechsstellige Summen bekommen und es kommt am Ende womöglich wenig raus.“ Roland Berger unterstützt die Stadt bei dem Strategie-Prozess.
Dies und die Tatsache, dass die Interessengemeinschaft Essener Wirtschaft (IEW) immerhin 800.000 Euro zur Finanzierung der Strategie 2030 beisteuerte, hatte bereits im Vorfeld des Prozesses innerhalb der Wirtschaft für heftige Diskussionen gesorgt. „Das ist doch unnütze Laberei“, formulierte vor rund einem Jahr drastisch ein leitender Mitarbeiter eines Essener Konzerns.
„Wir als Wirtschaft kommen bislang nicht vor“
Ulrich Meier würde so weit öffentlich nicht gehen, räumt aber ein, dass ihm ähnliche Skepsis nicht fremd ist und auch ihn die Sorge umtreibe, hier entstehe nicht als ein großer Haufen bedrucktes Papier. Er will allerdings - wie Kanders - dennoch mittun, um die Debatte in die aus seiner Sicht richtigen, nämlich wirtschaftsfreundlichen Bahnen zu lenken. Auch Meier klagt: „Wir als Wirtschaft kommen bislang nicht vor.“
Günter Berndmeyer, vom OB eingesetzter Projektleiter, kann die Enttäuschung der Verbandsvertreter nicht ganz nachvollziehen: „Neben dem Verwaltungsvorstand sind der Leiter der Essener Wirtschaftsförderungsgesellschaft, Dietmar Düdden, und der Architekt Axel Koschany für die IEW Mitglied der Steuerungsgruppe.“ Damit, so Berndmeyer, sei aus Sicht der Stadt eigentlich genügend Wirtschaftskompetenz beteiligt.
IHK teilt Kritik nicht
Die Wirtschaft sei zudem eingeladen, sich bei den sechs Workshops einzubringen, die demnächst eingerichtet würden. Immerhin: Auch der Hauptgeschäftsführer der IHK, Gerald Püchel teilt die Kritik anderer Verbände nicht und fühlt sich vom OB ausreichend beteiligt, zumal Mitte September eine große 2030-Veranstaltung bei der IHK stattfinden werde.
So drängt sich das Fazit auf, dass Teile der Essener Wirtschaft weiter hadern, ob man die „Strategie 2030“ überhaupt so großzügig hätte finanzieren sollen - und der geringe Einfluss macht nun alles noch fragwürdiger. Kanders: „Es sollte nicht der Eindruck entstehen, dass die Stadt zwar gerne das Geld nimmt, uns aber ansonsten an liebsten heraushält.“