Essen.. Planungsdezernent und Stadtdirektor Hans-Jürgen Best (SPD) spricht im WAZ-Interview über aktuelle Entwicklungen und Probleme in der Stadtplanung - und ärgert sich dabei über die allzu oft mutlose Haltung der Politiker.
In den Ratsgremien einstimmig für ein neues Wohngebiet stimmen ist das eine, nach den ersten Anwohnerprotesten sofort umfallen häufig das andere: Planungsdezernent und Stadtdirektor Hans-Jürgen Best (SPD) ist verärgert über die - wie er meint - oft allzu mutlose Haltung der Politik. „Politiker müssen die gesamtstädtische Perspektive sehen und dürfen sich nicht nur dem einzelnen Wähler verpflichtet fühlen“, sagte er im Gespräch mit der WAZ. Im Prinzip seien sich alle politischen Kräfte in der Stadt einig, dass Essen dringend neue Wohnungen brauche, um den Einwohnerschwund zu bremsen. Immer wieder gebe es jedoch - ausgehend meist von Stadtteilpolitikern - Sand im Getriebe. „Ich wünsche mir da mehr Mut.“
Das Beispiel Gummertstraße
Best macht seine Kritik an einem neuen Fall von nachträglich in Frage gestellter Planung fest: Zwischen Herthastraße und Gummertstraße in Rüttenscheid sollen 140 neue Wohnungen entstehen, doch müssten dafür zuvor zehn ältere Reihenhäuser aus den 1950er Jahren abgerissen werden. Nach Protesten der Mieter, die dort teils seit Jahrzehnten leben, schwenkten die Grünen sofort um und fordern nun eine Bestandsgarantie für die Altbauten. Für Best eine erstaunliche Entwicklung, da es in der Sache keinerlei Änderungen gab, seit der Ratsausschuss für Stadtplanung im September 2011 die Pläne im Grundsatz absegnete.
Best zufolge sitzen vor allem die Grünen im Bremserhäuschen, wenn es um dringend notwendige Neubauten geht. Aber auch die anderen Parteien neigten dazu, einmal getroffene Entscheidungen wieder umzuwerfen, sobald es Druck aus ihren Stadtteil-Gremien gebe. Zu schnell einschüchtern lasse sich die Politik auch deshalb, weil der häufig emotional vorgetragene Protest in seiner Schlagkraft überschätzt werde. Ein gutes Beispiel ist für Best das Baugebiet „Grüne Harfe“ in Heidhausen: „Selbst die Stadtteil-Vertreter von CDU und Essener Bürgerbündnis, deren Stadt-Vertreter im Rat ganz anders reden, standen in Heidhausen plötzlich alle hinter der Bürgerinitiative.“
Das Grundproblem ist für den gelernten Stadtplaner, dass „Singular-Interessen in unserer Gesellschaft einen zu hohen Stellenwert haben“. Die Politik tue zu wenig, um dem Gemeinwohl und nüchternen Beurteilungen zum Recht zu verhelfen. Wenn die CDU eine „wachsende Stadt“ wolle, „dann weiß ich nicht, wo das eigentlich realisiert werden soll“.
Udo Bayer, Fraktionschef des Essener Bürgerbündnisses (EBB), kann dem Stadtdirektor in der Sache durchaus folgen, hält seine Kritik aber für „zu einseitig“. Es stimme, dass die Politik in kürzeren Intervallen, nämlich von Wahl zu Wahl denke und sich häufig zu sehr von Interessen Einzelner beeindrucken lasse. „Umso wichtiger ist eine Planungsverwaltung, die Weitblick an den Tag legt und ihre Ziele nachvollziehbar in größeren Zusammenhängen darstellt“, so Bayer. Insofern fordere auch er Mut zum Handeln - beispielsweise vom Stadtdirektor.
Herr Best, wenn geplant wird, gibt’s Konflikte mit dem Bürger, das scheint fast ein Naturgesetz zu sein: Ist Stadtplanung heute ein schweres Geschäft?
Hans-Jürgen Best: Stadtplanung bedeutet Interessenausgleich, das ist mein Grundverständnis. Man muss wissen, was man will und die Kräfte kennen, die auf der einen und der anderen Seite stehen. Wenn das klar ist, geht es nur noch um die Frage, kriege ich das umgesetzt.
„Nur“ ist gut. Früher war ja alles einfach: Die Stadt macht einen Plan, was nicht passte musste weichen. Die meisten Leute haben sich das anders als heute gefallen lassen.
Das kam aus der deutschen obrigkeitsstaatlichen Tradition. Motto: Die da oben werden das schon machen. In der Nachkriegszeit kam auch die schiere Wohnungsnot hinzu, da fragte keiner, ob das vielleicht städtebaulich passt oder der Erhalt irgendeiner Wiese nicht auch schön wäre. In den 1950er Jahren wurden in Essen 7000 bis 8000 Wohnungen pro Jahr fertig gestellt. Heute sind wir froh, wenn wir 800 schaffen.
Klingt als würden Sie den alten Zeiten nachtrauern.
Das wäre übertrieben. Aber ich gebe zu: Der Pragmatismus und den Sinn für übergeordnete Zusammenhänge, der speziell hier im Ruhrgebiet verbunden war mit einem sehr hohen Maß an Solidarität, all das vermisse ich schon ein bisschen. Restbestände von dieser alten Malocher-Solidarität, auch eine gewisse Gelassenheit gegenüber Änderungen im eigenen Lebensumfeld, findet man noch im Norden unserer Stadt, wo es eindeutig leichter ist, etwa ein neues Wohngebiet zu entwickeln.
Die Leute im Norden rennen nicht so schnell zum Anwalt.
Genau. Ich glaube, das Pendel ist ansonsten sehr weit in die andere Richtung ausgeschlagen. Wo es früher manchmal zuviel Vertrauen in die Richtigkeit planerischer Entscheidungen gab, gibt es heute zu wenig. Die Bürger stellen viel in Frage, auch weil sie viel mehr wissen oder doch glauben, mehr zu wissen.
Was heißt das zum Beispiel bezogen auf die gerade strittige Frage, ob zehn Reihenhäuser an der Gummertstraße fallen sollen für ein neues Wohngebiet?
Viele Menschen sehen nur ihr kleines Umfeld. Singular-Interessen haben in dieser Gesellschaft einen viel zu hohen Stellenwert. Manchmal muss aber jemand beispielsweise umziehen, auch gegen seinen Willen, sonst könnte sich eine Stadt ja nie weiterentwickeln.
Gut, aber die Menschen vertreten nun einmal legitimerweise ihre eigenen Interessen. Was wollen Sie tun, um mehr gesamtstädtische Einsicht zu befördern?
Am Ende bleibt natürlich nur der Versuch zu überzeugen. Und das machen wir ja auch. Wenn die Leute von der Gummertstaße sagen, sie wären von den Plänen überrascht worden, ist das – jedenfalls was die Stadt betrifft - nicht richtig. Wir hatten drei von ihnen sogar im Stadtplanungsamt, dort haben sie sich schon im vergangenen Jahr die neuen Pläne angesehen.
Als das Vorhaben bei einer Pressekonferenz vorgestellt wurde, war von Abriss und Umsiedlung aber keine Rede. Und Immeo als Grundeigentümer und möglicher Investor hat sich bisher offenbar sehr bedeckt gehalten gegenüber den Mietern an der Gummertstraße.
Das mag sein, dass da Fehler passiert sind.
Es fällt auf, dass nur die CDU das Vorhaben verteidigt hat, nachdem Protest aufkam. Die Grünen gaben den Anwohnern Recht, andere Parteien sind verstummt.
Tja, im September 2011 gab es im Ausschuss für Stadtplanung noch einen einstimmigen Beschluss, dieses Projekt umzusetzen – inklusive des Abrisses der vorhandenen Häuser. Auch die Grünen haben dafür gestimmt. Woher nun plötzlich dieser Wandel kommt, kann ich mir in der Sache gar nicht erklären. Theoretisch könnte die Politik sich ja auch über Singular-Interessen hinwegsetzen, sie müsste es aus gesamtstädtischer Sicht sogar.
Wünschen Sie sich da manchmal mehr Mut der Politik?
Das wünsche ich mir tatsächlich. Politik muss nach meinem Verständnis die gesamtstädtische Perspektive einnehmen und darf sich nicht nur dem einzelnen Wähler verpflichtet fühlen. Das war ja auch an der Grünen Harfe in Heidhausen so auffallend: Selbst die Stadtteil-Vertreter von CDU und Essener Bürgerbündnis, deren Stadt-Vertreter im Rat ganz anders reden, standen in Heidhausen plötzlich alle hinter der Bürgerinitiative, die das Neubaugebiet verhindern will. Und die zentrale Stadtregierung im Rathaus konnte sich nicht durchsetzen. Ich halte das für falsch.
Wenn die Emotionen plötzlich hochkochen, ist es vor Ort vermutlich schwer dagegenzuhalten.
Das ist so. Aber die Emotionen sollten nicht das letzte Wort sein. Und die Intensität von Protest kann täuschen. Oft sind es, wie an der Grünen Harfe, ganz kleine Gruppen. Die Politik sollte mehr auf die schweigende Mehrheit setzen, die tickt in der Regel richtig. Das hat man ja auch bei Stuttgart 21 gesehen als es dann wirklich mal zur Abstimmung kam.
Dennoch: Sind die althergebrachten Methoden der Mitbestimmung im Bebauungsplanverfahren - Auslage, Bürgerversammlung - zeitgemäß, reicht das noch aus?
Das gesetzlich Vorgeschriebene machen wir sowieso, das sind Mindeststandards. An der Grünen Harfe haben wir sehr viel mehr getan, und einen irrsinnigen Aufwand betrieben mit Versammlungen, Moderationen, Gutachten. Das ist alles andere als billig. Aber der politische Auftrag an uns lautete eben: Setzt alles ein, was didaktisch sinnvoll ist, um die Vernunft zu befördern.
Und? Hatten Sie Erfolg?
In gewisser Weise ja. Wir konnten einige überzeugen. Wir haben zum Beispiel zwei, drei Monate gebraucht um den Menschen klarzumachen, dass auf dem Feld keine seltenen Tierarten zu finden sind, dafür laufen dort sowieso auch viel zu viele Hunde rum. Das müssen sie aber erst mal mühsam nachweisen. Diejenigen, die um jeden Preis ihre freie Wiese vor der Tür behalten wollen, erreichen Sie mit solchen Argumenten allerdings nicht. Das ist in meinen Augen dann wirklich nur noch blanker Egoismus.
Immer wird die Stadt solchen Aufwand wohl nicht treiben können.
Das ist wahr. Aber so etwas wie die Grüne Harfe wird es sowieso nicht noch mal geben. Das ist das letzte Stück Acker, das bebaut wird.
Warum das letzte Stück? Brauchen wir Wohnungsbau auf der Grünen Wiese künftig nicht mehr?
Das natürlich schon. Aber ich sehe nicht, dass die politische Kraft für weitere Vorhaben dieser Art vorhanden wäre. Als die CDU zwischen 1999 und 2004 im Rat die Mehrheit hatte, wurde das so genannte 43er-Programm aus der Taufe gehoben: 43 Acker- und Wiesenflächen, die bebaut werden sollten. Teile davon konnten umgesetzt werden, etwa am Sachsenring, an der Lohstraße in Bedingrade, am Duvenkamp in Heisingen. Als die Grünen mit ins Boot kamen, war damit Schluss. Wenn die CDU heute von „wachsender Stadt“ spricht, dann weiß ich nicht, auf welchen Flächen das eigentlich realisiert werden soll.
Neue Wohnbaugebiete scheinen nur noch auf Flächen möglich, wo schon mal was anderes stand.
Richtig, da funktioniert das meistens, da spielen oft sogar die Grünen mit. Und das geht dann am Markt auch weg wie warme Semmeln. Seebogen in Kupferdreh – alles verkauft. Univiertel – ebenfalls weg. Scheidt’sche Hallen in Kettwig – auch das wird schnell verkauft sein. Jeder potenzielle Käufer weiß ja, dass es sonst nichts gibt in Essen.
Warum braucht Essen überhaupt neues Wohnungen?
Erstens weil die Menschen immer mehr Wohnfläche beanspruchen - 1960 waren es 20 Quadratmeter pro Person, heute 42. Darunter gibt es viele Menschen, die allein 140 Quadratmeter und mehr bewohnen, auch Ältere, die nicht umziehen wollen, nachdem die Kinder aus dem Haus sind und der Ehepartner verstorben ist – wer will es ihnen verbieten? Tatsache ist außerdem, dass wir von den 20 000 Menschen, die pro Jahr aus Essen wegziehen, viele halten könnten, wenn wir ein ausreichend großes Wohnungsangebot hätten. Mit einem guten Angebot fiele es auch leichter, Neubürger zu gewinnen, die wir ja wollen, damit diese Stadt nicht weiter so extrem schrumpft.
Nun haben die Gegner von neuen Wohngebieten auf der grünen Wiese ja auch ihre Argumente.
Aber keiner will doch in Naturschutzgebieten bauen. Und die meisten anderen Schutzargumente sind eher fadenscheinig. Ein Acker mag die eigene Seele beruhigen, schutzwürdig ist er in der Regel nicht. Hier geht es oft nur darum, das Gewohnte zu erhalten. Wenn das Neue dann erst einmal eine Weile da ist, will es komischerweise kaum noch jemand missen. Auch das ist eine interessante Erfahrung. Die Margarethenhöhe – um ein besonders schlagendes Beispiel zu nennen - war auch mal ein Acker.
Mal konkret gefragt: Wo lässt sich in Essen denn überhaupt noch neuer Wohnungsbau realisieren?
Viele Flächen haben wir nicht mehr, jedenfalls viel weniger als nötig. Die letzte große ist derzeit am Breloher Steig in Steele-Horst – rund 300 Wohnungen sollen da entstehen. Das war mal ein Industriegebiet – nur deshalb geht das. Auf dem Gelände der früheren Zeche Bonifacius in Kray ginge irgendwann auch mal was, da muss ja vielleicht nicht auf Dauer das jetzige Autoauslieferungslager sein. Allerdings werden solche Gebiete auch für kleinteiliges Gewerbe gebraucht. Rellinghausen zwischen Frankenstraße und St. Annental fällt mir noch ein, von Rüttenscheid zwischen Herthastraße und Gummertstraße war schon die Rede. Wir leben vor allem im Süden nur noch von Restflächen, die wir neu zusammensetzen. Das ist zu wenig.
Große Würfe wie im Univiertel wird es also nicht mehr geben?
Da haben wir nichts mehr. Mein Lieblingsgebiet für den ganz großen Wurf liegt da, wo jetzt noch geflogen wird: der Flughafen Essen-Mülheim, den alle drei Gesellschafter schließen wollen. Das ist eine Fläche so groß wie die gesamte Margarethenhöhe, die alte und die neue zusammengenommen. Da ließen sich sogar richtig schöne Wohnvisionen verwirklichen.
Glauben Sie daran?
Es wäre jedenfalls das Beste, was wir dort machen könnten.