Essen. Eine Ausstellung auf Zollverein zeigt keramische Arbeiten von Young-Jae Lee. Die filigranen Gefäße sind Kunstwerke für den täglichen Gebrauch. Star-Regisseur Robert Wilson hat auch eine Vase.
Wer die Kunst von Young-Jae Lee bodenständig nennt, kann nicht ganz falsch liegen. Denn auch wenn ihre filigranen Schalen und hauchdünnen Vasen es längst in die Museen der Welt, in die Porzellanschränke des jordanischen Königshauses und auf die Anrichte von Star-Regisseur Robert Wilson geschafft haben, wünscht sich die Koreanerin, die vor 25 Jahren die Leitung der Keramischen Werkstätten in Essen übernahm, doch vor allem eines: Dass ihre von Hand gedrehten Teller und Tassen, ihre Krüge und Schalen, die ihr Atelier auf Zollverein zu Hunderten verlassen, auch tatsächlich benutzt werden.
Eine große Jubiläums-Ausstellung in Halle 5 auf Zeche Zollverein betont diese hoch ästhetische Bodenständigkeit noch auf eine andere Art: Indem sie den Besuchern die keramischen Kunstwerke buchstäblich zu Füßen legt.
„Meine Meister sind für mich Priester“
Die Idee, ihre empfindsamen Arbeiten vom Sockel zu holen, kam der Künstlerin schon vor Jahren während der Auftrags-Arbeit an Kelchen für den Chillida-Altar in Köln. Aus den geplanten fünf, sechs Gefäßen wurden am Ende Hunderte. Irgendwann war die Zahl so groß, dass Young-Jae Lee die gesamte Werkstatt ausräumen musste, um dem Auftraggeber, Jesuitenpater Mennekes, die Auswahl zu präsentieren. Seither gibt es das Kunst-am-Boden-Konzept.
Und auch auf Zollverein stolpert man nun fast über die jadegrün schimmernden Schalen, die bauchigen Gefäße in Honigbeige und Milchweiß, die sich hier wie selbstverständlich zum Dialog der Dinge versammelt haben. „Die Arbeiten finden sich“, sagt Young-Jae Lee. So wie sich die 1951 in Seoul geborene Künstlerin und die Zeche Zollverein vor 25 Jahren gefunden haben. Die spröde Schönheit der Bauhaus-Architektur hat sie sofort gefangen, als die 1924 von Margarete Krupp gegründete Keramischen Werkstätten Margarethenhöhe eine neue Bleibe brauchten.
„Ohne den Bauhaus-Gedanken wäre ich ja gar nicht nach Europa gekommen.“ Genauer gesagt nach Deutschland, wo die „beste Technologie weltweit“ zu finden war. Gegen den Willen der Eltern sogar, die sich die Kunst-Karriere ihrer Tochter anders vorgestellt hatten. Aber Lee hat die Herausforderung angenommen. Und sich während ihres Studiums der Kunstgeschichte immer wieder mit der Frage auseinandergesetzt, warum das, was wir nicht benutzen, sondern bloß an die Wand hängen, in unserer Wahrnehmung Kunst ist. Und das, was schön und nützlich ist, keine. „Ein Widerspruch in sich“, findet Young-Jae Lee, deren Augen blitzen, wenn sie die übliche Reaktion auf den Begriff „Töpferin“ schildert: „Meine Güte, schon wieder so eine Kunstgewerbetante!“ Diesen Gedanken könne sie immer wieder in den Gesichtern lesen.
„Nicht ich drehe die Scheibe, sondern die Scheibe dreht“
Diese Wahrnehmung ist besonders seltsam für jemandem, in dessen Heimatland Korea es die Tradition von Nippes und dekorativem Selbstzweck überhaupt nicht gibt. Die puristischen Gefäße von Young- Jae Lee existieren denn auch nicht um ihrer selbst willen. Sie wollen gebraucht werden. Wer sich ein Stück der Kollektion aussucht, der soll es bitteschön nicht nur in den Schrank stellen. „Wir machen kein Sonntagsporzellan.“
Trotzdem sind diese Gefäße, vor allem auch die kelchigen Vasen, die einen in der Ausstellung mit ihrer markanten Silhouette begrüßen, alles andere als Dutzendware, sondern das Ergebnis eines langen, fast meditativen Arbeitsprozesses. „Nicht ich drehe die Scheibe, sondern die Scheibe dreht“, erklärt die Künstlerin diesen Vorgang der Verinnerlichung, bei dem die Wiederholung der immergleichen Handgriffe keine Routine ist, sondern eine geistige Übung, ein stetes Ringen um die vollendete Form.
„Für mich sind meine Meister Priester“, sagt Young-Jae Lee über ihre Mitarbeiter. Und jedes Stück ist ein Exerzitium. Wenn die Übung gelungen ist, geht sie hinaus in die Welt. Fast die Hälfte des Umsatzes wird heute im Ausland gemacht. Kunden aus Japan, Amerika, Frankreich freuen sich über Keramik aus Essen, dem Ort, der für Young-Jae Lee längst auch spirituelle Heimat geworden ist. „Wenn ich auf Zollverein bin, spüre ich noch heute die Kraft, die abertausend Leute hier geleistet haben.“