Essen.. Mario hat die Gefahr immer im Kopf, da helfen keine Kondome. Bei jeder Berührung, jeder Zärtlichkeit spukt das Virus in seinem Kopf. Drei Menschen, drei Leben mit der HIV-Infektion: Betroffene erzählen, wie sie nach der Diagnose ihren Weg suchen – und manchmal ihr Glück finden.

„Sie haben Aids“ – sagte die Hausärztin, dabei liefen ihr die Tränen über die Wangen, erinnert sich Barbara. Es war ihr Bluttest. Ihre Diagnose, mit der sie seit 1996 lebt. „Ich wusste nichts über Aids“, sagt Barbara. Nur einmal zeigten sie einen sterbenden Erkrankten im Fernsehen. „Ich hatte Angst und habe das Gerät ausgeschaltet“, sagt die 54-Jährige. Sie weiß längst, dass sie nicht aidskrank, sondern HIV-infiziert ist. Denn die Krankheit ist nicht ausgebrochen.

Das Test-Ergebnis war aber Auslöser dafür, dass bei Barbara „so viel hochkam“. Altlasten aus der Kindheit, das Elternhaus, sagt sie, mehr nicht, schaut zum Boden. Sie hat viel in einer Therapie aufarbeiten müssen. „Ich habe viel geweint, nächtelang nicht geschlafen.“ Die ersten Jahre waren schrecklich. „Ich war nicht vor der Tür.“

Was sie bis heute traurig macht, ist die Ungewissheit: Wo hat sie sich angesteckt? Wer hat ihr das angetan? Sie hat noch nie darüber nachgedacht, dass es derjenige vielleicht gar nicht weiß. Was sie weiß: Ihr Ex-Mann war es nicht, denn er ist HIV-negativ. Es ist ein gutes Gefühl, nicht vom Ehemann betrogen worden zu sein, sagt sie. Ihr Sohn allerdings kann mit seiner Mutter nicht mehr umgehen, erzählt Barbara: „Er trinkt.“ Spricht nicht mit ihr. Sie soll ihn in Ruhe lassen. „Das kann ich jetzt gut.“

Zwei Mal ins Leben zurück gekämpft

Sie hat sich zweimal ins Leben zurück gekämpft, saß wegen Muskelschmerzen und Taubheit in den Beinen im Rollstuhl. Medikamente nimmt sie nicht. Bei Ralf (Name geändert) hingegen halten sie das Virus in Schach, wie er es nennt. Er weiß seit 2010, dass er HIV-positiv ist. Zuvor habe er es befürchtet, weil er „ein bisschen leichtsinnig“ gewesen sei, sagt der Koch, der wegen der Liebe und des Jobs nach Essen kam. Als junger Mann heuerte er in der ehemaligen DDR als Schiffskoch an, um dem „ungemütlichen Zuhause“ mit seinem alkoholkranken Vater zu entkommen.

Von 1982 bis 91 fuhr Ralf zur See, war in Afrika, USA und Russland. Dass er sich irgendwann mit dem HIV-Virus infiziert hat, hat er lange verdrängt. Hat vielmehr mit seiner Depression gekämpft. Heute fährt Rad, wandert, geht spazieren, braucht Struktur und Beschäftigung im Alltag. Mit dem Virus beschäftige er sich nicht. Es mache ihm keine Angst.

Gesagt hat er es keinem, würde das in einer Partnerschaft tun, sagt der Mann mit dem wachen Blick. Er hat das alles erst selbst verarbeiten müssen. Zurzeit sind seine und Barbaras Ansprechpartner die Menschen bei der Caritas Aidsberatung. Dort haben sie Halt gefunden, ihre Angst verloren. „Hier werde ich aufgefangen“, sagt Ralf. Er schaut kurz auf die Uhr, springt auf. Die Kunsttherapie beginnt. Er wolle auch wieder arbeiten: „Ich möchte Geld verdienen und gebraucht werden.“ Vielleicht als Koch. Und eine neue Liebe finden.

„Ich will mich nicht rechtfertigen“

Die hat Mario bereits gefunden, vor 23 Jahren. Seit 1991 weiß Mario, dass er sich mit HIV infiziert hat. Sein Partner hat sich zum Glück nicht angesteckt. Aber Mario hat die Gefahr immer im Kopf, da helfen keine Kondome. Bei jeder Berührung, jeder Zärtlichkeit spukt das Virus in seinem Kopf. Mario hat Angst, fragt sich oft, was Morgen sein wird. Der 46-Jährige wusste früh, dass „er auf Männer steht.“ Ist dann mit 18 von zu Hause weg, weil es mächtig Ärger mit dem Vater gab.

„Ich will mich nicht rechtfertigen“, sagt Mario über sein Leben. In dem er einmal nicht aufgepasst habe. Früher ließ er sich alle sechs Monate testen. „Alles war schön in Ordnung.“ Bis zum Tag, als er nach einer Operation in die Klinik gerufen wurde. „Das war grausam“, erinnert er sich. Sechs Ärzte saßen ihm gegenüber, ein Professor sagte ihm: „Sie sind aidskrank.“ Mario brach zusammen.

„Rückt endlich das Heilmittel gegen Aids raus.“

Derjenige, bei dem er sich wohl angesteckt hat, lebt nicht mehr. „Woran er gestorben ist, weiß ich nicht“, sagt Mario, dessen Immunsystem geschwächt ist. So dünn sei er aber schon vorher gewesen, sagt der hagere 46-Jährige. Er hat sich inzwischen taufen lassen, ist konfirmiert worden, hat mit dem Pfarrer über seine Beerdigung gesprochen. „Mein wunderbarer Glaube hilft mir. Und meine Schätzkes“, wie er die Ehrenamtlichen der Beratungsstelle nennt. Sein Wunsch richtet sich an die Medizin:  Mario will alt werden.

Fünf Jahre nach ihrer Diagnose hat Barbara sagen können, dass es aufwärts geht. Und sie hat sich verliebt. Es war bei einer Freizeit für Positive, so habe sie ihrem Partner nichts erklären müssen. „Ich bin wieder verheiratet“, erzählt sie. Und dass ihr Mann nun schwer krank sei und sich im Endstadium befinde. Dennoch kann Barbara wieder lachen. Weil sie gelernt hat, andere Werte zu schätzen. Sie freut sich, mit ihrem Mann Filme zu schauen, wünscht sich, mit ihm zu verreisen und sagt: „Heute habe ich ein schönes Leben.“