Essen. .

Anmerkungen zum Stadtgeschehen – ein Kommentar von Wolfgang Kintscher, Leiter der NRZ-Redaktion Essen.

Es war bei diesem Auftakt zum Bürgerbegehren nicht ganz klar, was ihr nun mehr die Tränen in die Augen trieb: die Aufregung, vor einer größeren Runde sprechen zu müssen, oder die Empörung über die Streichpläne für drei Bibliotheken – ausgerechnet dort, wo man sie so dringend braucht. Um das Aus zu verhindern, will die Schülerin aus Holsterhausen demnächst von Haus zu Haus Unterstützer suchen, und sicherheitshalber fragte sie noch mal nach: „Darf man das?“

Ja, man darf. Und das ist vielleicht der Moment, wo aus einer Schülervertreterin eine Art Wutbürgerin wird: weil nach ihrer Ansicht Verwaltung und/oder Politik das Gespür für die Menschen abhanden gekommen ist, weil sie nun auslöffeln muss, was ihrem Gemeinwesen über all die Jahre an Schulden eingebrockt wurde (oder sich selbst eingebrockt hat). Längst sind den Bürgern dabei die Maßstäbe für Essens Etatmisere aus dem Blick geraten. Dass etwa die Stadt für ihre Darlehen schon 100.000 Euro an Zinsen zahlen muss, so hatte es eine Teilnehmerin in der NRZ gelesen, ließ am Donnerstag manchen mit dem Kopf schütteln.

Dabei dürfen wir an die komplette Formulierung erinnern: 100.000 Euro pro Tag! Und dies auch nur für den so genannten „Dispo“ der Stadt. Rechnet man die Zinsen für Investitions-Kredite hinzu, kommt die Stadt auf 218.630 Euro. Täglich. Ein Eigenheim futsch, 365 mal im Jahr. Die wenigsten haben dieses Schuldenbewusstsein, weil es gänzlich ihre Vorstellungskraft sprengt.

Dass man diesen Wahnsinn stoppen muss, liegt auf der Hand, zumal ein rekordverdächtig niedriges Zinsniveau die komplette Sprengkraft bislang noch verbirgt. Kämmerer Klieve ist deshalb auf dem richtigen Weg, wenn er auf die schnellstmögliche Tilgung der Kredite setzt, solange dafür noch Zeit ist und das Zinsniveau niedrig.

Nicht einer einzigen Generation den Alltag kaputtzusparen, gleichzeitig aber der vollen Wucht der Schulden auszuweichen – das ist der Spagat, der gelingen muss. Und das wird noch viele Tränen geben.