Essen. 30 Jahre Erfahrung mit Süchtigen: Michael Steven, Sozialpädagoge und Psychotherapeut im Essener Kamillushaus, hat darüber ein Buch geschrieben
„Unserer Gesellschaft ist die Gefahr, die mit Alkohol einhergeht, immer noch nicht bewusst“, sagt Michael Steven, und er weiß, wovon er spricht. Der diplomierte Sozialpädagoge und Psychotherapeut arbeitet seit 30 Jahren im Kamillushaus, der Heidhauser Fachklinik für Suchtkranke. Jetzt hat er ein Buch geschrieben und es allen Menschen gewidmet, die gegen ihre Abhängigkeit von Alkohol, Drogen und Medikamenten kämpfen.
„Es ist ein Such- und Findebuch“, erläutert Michael Steven, „in dem ich meine im Laufe der Jahre gesammelten Einsichten, Erkenntnisse und therapeutische Sichtweisen in Verse, Sinngedichte und Aphorismen ausdrücke.“
Keine eindeutigen Antworten
Wer eindeutige Antworten erwartet, wird in „Sucht - Motivation für schwierige Zeiten“, so der Titel des Buches (Kindle-Edition, 9,90 Euro), nicht fündig werden. Vielmehr geht es Steven darum, Anstöße zu geben und zum Nachdenken anzuregen. „Viele unserer Patienten stehen vor der Frage: Wie muss ich mein Leben ändern, um meine Sucht zu beherrschen“, so der 55-jährige Essener, „vielleicht werden sie durch meine Zeilen bestärkt, ihren bereits eingeschlagenen Weg weiter zu gehen.“
Wie schwer der Weg aus der Sucht sein kann, erleben die Ärzte, Therapeuten und Pflegekräfte des Kamillushauses tagtäglich. „Für unsere Patienten ist es meist eine lange Reise, bis sie sich ihrer Sucht stellen und sie bekämpfen wollen.“ Oft dauert es Jahre, bis Betroffene Hilfe suchen. „Viele Patienten können ihre Sucht perfekt verbergen, tragen ihre Maske wie eine zweite Haut.“
Schmerzlicher, befreiender Prozess
Fällt die Fassade, folgt ein sehr schmerzlicher, aber auch befreiender Prozess. „Der erste Schritt, nämlich die eigene Erkenntnis, dass man abhängig ist und Hilfe braucht, ist der schwerste.“ Entscheidend für eine Therapie ist die Freiwilligkeit. Nur dann gibt es eine Chance, sich auch aus der Sucht zu befreien.
Dabei hilft das Kamillushaus bereits seit 1901. Damals gründete der katholische Kamillanerorden die Klinik für Suchtkranke, inzwischen eine Institution in Essen und auch über die Stadtgrenzen hinaus für ihre professionelle Therapie bekannt.
Am Anfang steht der Entzug
Am Anfang der Behandlung steht immer der qualifizierte Entzug: Drei bis sechs Wochen dauert die Entgiftung, die als unerlässliche Vorbereitung für die anschließende 16-wöchigen Langzeitentwöhnungsbehandlung dient. „Sobald die Patienten entgiftet sind, beginnen wir mit der Motivationsphase.“ Dann nehmen die Patienten bereits am kompletten Therapieprogramm teil, haben Gruppen- und Einzelgespräche, Ergo-, Entspannungs- und Gestalttherapie, Paar- und Familiengespräche. Die stationäre Langzeitentwöhnung schließt sich nahtlos an.
Und auch noch nach der Entlassung können die Patienten die ambulante Nachsorge oder die Tagesklinik der Heidhauser Fachklinik besuchen. Danach unterstützen Selbsthilfegruppen wie die Anonymen Alkoholiker oder der Kreuzbund die Betroffenen beim täglichen Kampf gegen die Sucht und den Rückfall in alte Gewohnheiten.
Denn was viele nicht wissen: Bei der Suchtkrankheit handelt es sich um eine chronische Erkrankung, die nicht geheilt werden kann und die Menschen ein Leben lang begleitet.