Essen. .
Anmerkungen zum Stadtgeschehen – ein Kommentar von Wolfgang Kintscher, Leiter der NRZ-Stadtredaktion Essen.
Bei allen Versuchen, in der Politik alle Nase lang die demokratischen Gemeinsamkeiten zu beschwören: Wenn’s bei den Parteien um die Wurst geht, dann auch immer darum, seine eigene Haltung im strahlenden Licht darzustellen – und die Position der jeweils anderen Seite als Deppen-Entscheidung. So ging es auch dieser Tage, als die Bürger der Nachbarstadt Gladbeck sich gegen den Bau eines 1,5 Kilometer langen A52-Tunnels durch ihre Stadt aussprachen. Schon im Vorfeld hatte etwa der Fraktionschef der Grünen im Gladbecker Stadtrat die Essener Bedenken (auch der hiesigen Grünen) als „Phantomschmerzen“ abgetan, deren Linderung ihnen offenbar wichtiger sei, als die große Chance für die Stadt Gladbeck: „Hier zeigt sich der Chauvinismus der Metropole gegenüber den Interessen der Peripherie!“
Und n a c h dem Bürgerurteil wagte sich Essens Oberbürgermeister Reinhard Paß ganz weit vor, indem er das Votum als Signal interpretierte, dass die Stadt, das Ruhrgebiet „nichts braucht“. Ein eigenartiges Verständnis von Demokratie schimmert da durch, dass hier wie dort natürlich nur die Anhänger der eigenen Position zu einem wohl abgewogenen Urteil kommen würden, die „anderen“ sich aber durch oberflächliche Propaganda einlullen und missbrauchen lassen. Und im Subtext einer Tunnelentscheidung auch noch das große Ganze für ihre Stadt verbaseln. Seltsam ist diese Haltung schon deshalb, weil der Ratsbürgerentscheid in Gladbeck mit einer Beteiligung von 40 Prozent nahezu an die Beteiligungs-Höhen der jüngsten Kommunalwahl heranreicht und deshalb einen gewissen Respekt verdient.
Andernfalls müsste man mit Bertolt Brecht fragen, ob es nicht doch einfacher wäre, „die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes“, wenn ihr wieder mal die Äußerungen des Souveräns nicht passen. Natürlich kann man über die Höhe von Quoren streiten, über die Frage welche Entscheidungen man den Wählerinnen und Wähler überlässt und welche lieber den gewählten Vertretern des Stadtrates.
Was aber irgendwie nicht geht, ist die respektlose Beschimpfung derer, die nicht weniger getan haben, als man ihnen in diesen Zeiten an allen Ecken und Enden nahelegt: Sie haben sich eingemischt. Und erleben nun, dass schon am Tag nach der Entscheidung politisch ausgefuchste Nachbar-OBs trotzig den Alleingang beschwören, wo das gemeinsame Vorgehen sinnvoll wäre.
Die A52 ist dabei kein Einzel-, sondern nur ein besonders hervorstechender Fall. Auch in der Frage der Stadionkosten oder bei der aufgesetzten Diskussion um den Baldeneysee erkennt man, dass die Politik zwar Lernbereitschaft signalisiert, aber nur ungern vollzieht, wenn sie tatsächlich mit ihren Positionen nicht ankommt.
Wer sich fragt, warum die Piraten mit ihrem Wunsch nach gnadenloser Offenheit so einen Zulauf haben, der muss sich nur anschauen, in welchem Ausmaß mittlerweile Entscheidungen abseits öffentlicher Gremien getroffen werden. Auch die Grünen haben sich diesem politischen Stil der internen Vorabsprache längst unterworfen, wie man wunderbar im jüngsten Rat beobachten konnte: Da empfanden die Grünen es schon als politischen Erfolg, eine Debatte um die Stadionkosten in einer internen Oberbürgermeister-Runde anzusprechen.
Die Bürger spielen offenbar erst die zweite Geige, sie sind gefragt, wenn man sich wie in Gladbeck die Entscheidung nicht allein zutraut. Das ist okay, aber wer die Bürger fragt, sollte auch mit deren Votum leben können und sich anschließend jede Art von Beschimpfung sparen. Wer das praktiziert, ist nur – ein schlechter Verlierer.