Essen. Die Fremdsprache und das stete Lernen prägen das Leben der 87-jährigen Christel Schäfer: 44 Jahre lang besuchte sie den Volkshochschul-Konversationskurs. Als der im Vorjahr nicht mehr stattfinden konnte, brach für die Seniorin eine Welt zusammen.

Um sich körperlich fit zu halten, geht Christel Schäfer in den Turnverein. Bis vor kurzem schwamm die 87-Jährige regelmäßig. Auch für ihren Kopf unternimmt sie ganz bewusst etwas, sagt die Burgaltendorferin, die 44 Jahre lang einen Kurs der Volkshochschule besuchte: Konversation auf Englisch.

Genau der fand im Vorjahr erstmals nicht mehr statt, weil sieben Anmeldungen zu wenig waren. „Für mich ist eine Welt zusammengebrochen.“ Christel Schäfer erzählt von ihrem ersten Dozenten, Mister Parkinson aus London, dem die Amerikanerin Susan Vogel folgte. „Wir sind zusammen alt geworden“, habe die gesagt. Die 87-Jährige erinnert sich gern an die Truppe, an die Feste bei der Dozentin. Es folgten weitere, die Teilnehmer wechselten, Christel Schäfer blieb. „Ich war meistens die Älteste.“ Viele waren Berufstätige, die die Sprache für ihren Job auffrischten.

„Ich liebe die englische Sprache“, sagt Christel Schäfer. Was es genau ist, das könne sie nicht beschreiben. Angefangen hat es in der Handelsschule. Später wurde sie Betriebsbuchhalterin bei Krupp. Dort besuchte sie ihren ersten Englisch-Kurs. Bei der Kinderlandverschickung hatte sie dann die Gelegenheit, sich mit einem amerikanischen Offizier zu unterhalten.

„Ohne Englisch geht es nicht"

Zurück in Essen wurde Christel Schäfer 1946 Sekretärin und Dolmetscherin bei der britischen Militärregierung und arbeitete in der Polizeiabteilung. In der Zeit stellte sie auch Waffenscheine für den Kreisjägermeister aus und traf ihren Mann: „Wieder so eine Story“, erzählt die 87-Jährige lächelnd. Bei einer Jagdexkursion sah sie ihn das erste Mal. „Er hat mich weggeheiratet.“ Sie bekamen vier Kinder, und sie beschränkte sich beim Englisch darauf, dass sie den Radiosender BFBS hörte.

Doch die Leidenschaft ließ nicht nach. 1968 meldete sich die Burgaltendorferin bei ihrem ersten Vhs-Kurs an. Damals fuhr sie zur Hollestraße, später mit ihrer Freundin nach Steele. Heute kommt die zweimal in der Woche zu Christel Schäfer: Erst gibt es eine Tasse Tee, „dann arbeiten wir“, sagt sie. Heißt: Die englische Konversation findet nun bei ihr zu Hause statt. „Ohne Englisch geht es nicht.“

Die Freundin liest aus der Zeitschrift News Week vor. Dann diskutieren sie, „beflügeln sich“ und „manchmal verbessere ich ihre Aussprache“, sagt die 87-Jährige. Bei unbekannten Wörtern nutzen sie den Taschencomputer. „Das passiert sehr selten.“ Falls ihr nachts ein Wort einfällt, greift sie gleich zum Wörterbuch neben ihrem Bett. Manchmal denkt sie sogar auf Englisch. Das sei nicht dressiert, sondern einfach so. Ihren Wissensdurst habe sie vom Vater. Ihr Bruder sei auch so, der engagiere sich in der Hospizarbeit und im Literatur-Café.

Alzheimer-Selbsthilfe-Gruppe gegründet

Mit ihrer Freundin spricht Christel Schäfer bei ihren Treffen über Wirtschaft, über Politik oder Mode. Neue Vokabeln präge sie sich ein. „Oh ja, das gehört dazu“, sagt sie. Und: „Englisch ist auch heute so was von wichtig“. Ihrer Nichte habe sie schon bei den Schulaufgaben helfen können. Ihre Enkelin, die Flugzeugmechanikerin geworden sei, mache nun ein Fernstudium auf Englisch. Eine Tochter der 87-Jährigen lebt in England. Ob sie die nochmal besuchen wird, weiß sie nicht. Zurzeit reist sie mit der katholischen Gemeinde, ins Emsland zum Beispiel. Mit ihrem Mann hat sie nie Englisch gesprochen. Sie haben ihren Betrieb aufgebaut, eine Zuliefer-Firma für den Bergbau mit 100 Mitarbeitern. Später pflegte sie ihren Mann, als er an Alzheimer erkrankte. Bis heute leitet sie die Alzheimer-Selbsthilfe-Gruppe, die sie gegründet hat.

„Der liebe Gott hat mir so viel Kraft gegeben, die kann nicht nur für mich sein“, sagt die zierliche Frau. Außer Kraft habe sie auch Zeit, ergänzt Christel Schäfer. Die teilt sie bereits mit ihrem kranken Nachbarn. Sie möchte aber gern auch etwas Ehrenamtliches tun: Hausaufgaben-Hilfe vielleicht – in Englisch.