Essen. . Günter Törner, Mathe-Didaktik-Experte der Uni Duisburg-Essen, sagt: Erfolg haben vor allem jene, die das Fach Mathematik mögen. Das hat nicht nur etwas mit Intelligenz zu tun. Drei Wahrheiten über ein nicht immer gemochtes Fachgebiet.

1. Das Klagen über den Niveau-Verlust von Mathe-Studenten ist annähernd so alt wie die Mathematik selbst.

„Die Qualität des Abiturs nimmt ab. Der Verfall der Kenntnisse und Fähigkeiten in den mathematischen Fächern bereitet größte Sorge. Die Hochschulen stellen diesen Qualitätsrückgang bei den Studienanfängern fest, die Betriebe und Handwerker beobachten ihn bei den Auszubildenden.“

Diese Sätze stammen von 1982. Es war ein Aufruf großer mathematisch-naturwissenschaftlicher Fachverbände und des Deutschen Vereins zur Förderung des mathematischen und naturwisssenschaftlichen Unterrichts (MNU). Und an der Uni Duisburg-Essen und anderen Hochschulen gibt es seit vielen Jahren sogenannte „Brückenkurse“ für Erstsemester: Ein gutes Abi mit Mathe-Leistungskurs garantiert längst keinen erfolgreichen Mathe-Studienverlauf.

„Wir haben bundesweit eine Erfolgsquote von Mathe-Studenten, die leider nur bei 22 bis 23 Prozent liegt“, berichtet Prof. Günter Törner (64). Der Mathe-Didaktik-Experte der Uni Duisburg-Essen beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Thema, ist auch Autor des Schulbuchs „Lineare Algebra“ und mehr als hundert internationaler Publikationen in der Mathematik und der Mathematikdidaktik. „Wenn uns gelänge, diese Quote um zehn Prozent punkte zu steigern, wäre schon viel erreicht.“

2. Erfolg in der Mathematik hat nicht nur etwas mit Intelligenz zu tun.

Törner und große Teile der Wissenschaft sind sich sicher: Ob jemand gut in Mathematik ist oder nicht, hat nicht nur mit rein kognitiven Fähigkeiten zu tun, also dem, was wir landläufig als Intelligenz bezeichnen. Wer Köpfchen hat, kann vielleicht trotzdem ein Leben lang bei der Prozentrechnung scheitern. „Es geht nicht um Kognition, es geht auch um Affektion“, ist Törner überzeugt. Mathematik, die als fachliche reinste Verkörperung von Logik und Rationalität gilt, hat zutiefst etwas mit Gefühlen zu tun. „Mathe spaltet“, sagt Törner: Umfragen hätten ergeben, dass nur wenigen Schülern Mathe egal ist. „Entweder, man liebt es, oder man hasst es.“ Kein Fach polarisiert stärker.

Interesse, Motivation und Einstellungen sind stattdessen wesentlich für den Mathe-Erfolg: „Es ist auch eine Frage der Kultur“, sagt Törner. In Deutschland ist die Toleranz gegenüber Misserfolg in der Mathematik relativ ausgeprägt. „Eltern sagen, wir können es auch nicht, dann muss unser Kind es auch nicht können.“ Technik-Feindlichkeit ist in weiten Teilen der Bevölkerung – vor allem bei nicht wenigen Lehrern – eine ausgeprägte Haltung, die geradezu demonstrativ zur Schau gestellt wird.

Kein Wunder also, dass es landauf, landab an Mathelehrern mangelt: „85 Prozent des Mathe-Unterrichts an Grundschulen wird fachfremd erteilt, ohne das Engagement der Kolleginnen oder Kollegen ignorieren zu wollen“, sagt Törner. Das bedeutet: Man kann davon ausgehen, dass schon in der Grundschule Kinder das Rechnen beigebracht bekommen von Pädagogen, die nachweislich in Teilen wirkliche Mathematik nicht sonderlich mögen.

Es ist eine Binsenweisheit, dass nur jene Begeisterung vermitteln können, die selbst begeistert sind. In der Forschung gilt es als ausgemacht, dass „affektive Funktionen“ die „allgemeinen kognitiven Funktionen“ steuern, das heißt: Frust-Erlebnisse in Mathe halten den Schüler oder Studenten davon ab, seine wahren Fähigkeiten ausspielen zu können – Stichwort Blockade. Das spielt besonders dann eine große Rolle, wenn es um inhaltliche Spezialisierung geht – nur Leidenschaft, im positiven Sinn, bringt einen dazu, sich mit kleinsten Details zu beschäftigen. Das ist in Mathe nicht anders als auch sonst im Leben. Die Forscher sind davon überzeugt, dass die meisten Schüler und Studenten mehr Mathe können, als sie glauben.

3. Wer heute die Qualität von Schülern oder Studienanfängern bemängelt, verkennt, dass sich die Dinge in Bildungseinrichtungen ändern.

„Vor 20 Jahren hatte ein Leistungskurs in einem Gymnasium noch sechs Wochenstunden, mittlerweile nur noch fünf“, gibt Günter Törner zu bedenken. Man wisse letztendlich gar nicht, wie viel Zeit für den Mathe-Unterricht netto zur Verfügung stünde: „Es vergehen manchmal Minuten, bis es in der Klasse ruhig ist. Das Klientel an Schulen ist heute vielfach ein anderes als damals.“

Törner hält wenig von Lehrern oder Hochschullehrern, die glauben, die Rahmenbedingungen ausblenden und über Jahrzehnte den gleichen Stoff mit denselben Methoden vermitteln zu können: „Schule und Uni verändern sich. Das muss man zur Kenntnis nehmen. Wer an der Hochschule lehrt und findet, die Schulen liefern nicht den Nachwuchs, der gebraucht wird, der muss aufhören, darüber zu klagen, und seine Arbeit entsprechend verändern.“