Essen. Mehr als 7000 Grundschüler (34 Prozent) besuchen i Essen den Offenen Ganztag – und Bildungsplaner beobachten eine weiter wachsende Nachfrage. Zehn Jahre nach seiner Einführung hat sich der Offene Ganztag zum Erfolgsmodell entwickelt.

Es ist eine Revolution, die sich im Stillen vollzogen hat: Wenn der Offene Ganztag an Essens Grundschulen jetzt ins zehnte Jahr geht, hat er sich vom Experiment zu einem Angebot entwickelt, auf das Tausende Familien nicht verzichten mögen. Sieben Grundschulen haben im Jahr 2003 einen Ganztag eingerichtet und insgesamt 400 Schüler betreut. Heute haben 82 der 89 Essener Grundschulen den Offenen Ganztag, 7108 Schüler nehmen das Angebot wahr – und die Nachfrage wächst weiter.

Dabei sind die einst formulierten Ziele längst übertroffen: 20 Prozent der Grundschulen und 25 Prozent ihrer Schüler wollte man mit dem Ganztag erfassen; heute sind es 90 Prozent der Grundschulen und 34 Prozent der Schüler. Damit liegt Essen deutlich über dem Landesschnitt.

Essen liegt über dem Landesdurchschnitt

„Wir sind auf dem Weg zur Ganztagsgrundschule“, glaubt die Leiterin des Bildungsbüros Regine Möllenbeck. Sie hat eine Vision: Sie wünscht sich nicht bloß eine nachmittägliche Betreuung, sondern eine ganztägige Lernveranstaltung für alle Schüler. Dann ließe sich der Stundenplan von morgens bis nachmittags so gestalten, dass sich herausfordernde und entspannende Elemente, Bewegung und Stillsitzen abwechseln. Diese Rhythmisierung gelingt bisher den wenigsten Schulen.

Als Bildungsangebot gelte der Offene Ganztag schon jetzt, betont Schulentwicklungsplanerin Iris Fay. Darum bestehe man auch auf einer Mindest-Verweilzeit: „Wir lehnen das Drehtür-Prinzip ab, weil es eine vernünftige pädagogische Arbeit unmöglich macht.“ Die sei gerade für Kinder, die zu Hause keine entsprechende Förderung erhalten, enorm wichtig. Allen Eltern, die den Ganztag für eine beliebig wahrnehmbare Betreuung halten, sagt Regine Möllenbeck: „Am Ganztags-Gymnasium sagen Sie doch auch nicht: Mein Kind geht heute schon mittags nach Hause, weil nachmittags ,nur’ noch Kunst stattfindet.“

Klassenkameraden dürfen früher gehen

Nur ist der Offene Ganztag eben keine schulische Pflichtveranstaltung. Darum wünschen sich manche Eltern flexiblere Abholzeiten, zumal die Klassenkameraden ihrer Kinder schon nach dem Unterricht nach Hause gehen – oder nach der 8-1-Betreuung. Auch die ist ja nicht ausgestorben, sondern existiert parallel zum Ganztag: Nur elf Grundschulen haben kein 8-1-Angebot.

„8-1“ – eine verbindliche Betreuung von 8 bis 13 Uhr – war einmal die Formel, die es Müttern erlauben sollte, einer Halbtagsarbeit nachzugehen. Das Angebot wird von verschiedenen Trägern betrieben und aus zig Töpfen finanziert. Und Iris Fay sieht keine Handhabe, es abzuschaffen: „Wir dachten, die Nachfrage nach 8-1 geht mit der Einführung des Ganztags zurück, aber sie ist ungebrochen.“ Was zum Teil auch auch daran liegt, dass der Ganztag viele Platzwünsche nicht erfüllen kann. „Ich wüsste gar nicht, wo ich die mehr als 2000 Kinder aus der 8-1-Betreuung noch unterbringen sollte“, sagt Iris Fay.

Das Gestrüpp verschiedener Systeme erkläre sich aus seiner Entstehungsgeschichte, und sie sei zuversichtlich, dass die Grundschule in einen einheitlichen Ganztagsbetrieb hineinwachse. Schon jetzt arbeite man vielerorts eng zusammen, nutze dieselben Räume.

Gestrüpp lichtet sich

Das mangelnde Raumangebot ist übrigens an vielen Schulen für die Grenzen des Wachstums verantwortlich: „Die alten Schulgebäude waren nicht auf den Ganztagsbetrieb ausgelegt“, sagt Regine Möllenbeck. Aber das alte Denken sei ja auch nicht darauf ausgelegt gewesen. „Diese gesellschaftliche Herausforderung wurde für die Frauen lange Zeit unzufriedenstellend beantwortet.“ Ebenso lange habe sich die Minderheit, die auf Hort oder Tagesmutter zurückgriff als Rabenmütter verunglimpfen lassen müssen. Mit dem rasanten Ausbau des Ganztags werde auch die Akzeptanz weiter zunehmen, glaubt Regine Möllenbeck: „In fünf Jahren hat sich die Diskussion erledigt.“