Essen. Vergessen die Grünen in Essen bei zu viel Realpolitik die grünen Urwerte? Der Austritt des ehemaligen Kreisvorsitzenden Heribert Rüsing wirft diese Frage auf. Ratssprecherin Hiltrud Schmutzler-Jäger verteidigt die aktuelle Politik.
Leicht gemacht hat er es sich und seiner Partei wirklich noch nie, aber jetzt will er einfach nicht mehr: Heribert Rüsing, ein Urgestein der Grünen, hat nach immerhin 29 Jahren bei den Essener Grünen gestern seinen Austritt erklärt. Der 72-jährige frühere Ratsherr und Kreisvorsitzende hadert mit einer grünen Kommunalpolitik, die sich für seinen Geschmack viel zu sehr auf das „Machbare“ konzentriert, viel zu sehr an Sachzwängen und Kompromissen orientiert ist, statt grüne Ur-Werte hochzuhalten. „Hier wird so lange Realpolitik gemacht, bis man vergessen hat, was das eigentliche Ziel ist - Zukunftsgestalter und Hoffnungsträger, dass war einmal“, so Rüsing bitter in seinem Austrittsschreiben, den er als offenen Brief verfasste.
Kein Hehl macht Rüsing aus seiner Abneigung gegen Fraktionschefin Hiltrud Schmutzler-Jäger. „Mit der Vorsitzenden habe ich schon lange Probleme, ja.“ Wenn es nach ihm ginge, dürften Grüne beispielsweise nicht mal darüber nachdenken, ob Freiflächen für neue Gewerbegebiete vorgesehen werden sollten. Auch die Haltung der Grünen zur neuen Wohnbebauung an der Grünen Harfe - als Werdener eines seiner Leib und Magenthemen - stieß ihm sauer auf. Aktuell würde er sich eine härtete Haltung beim Thema Baukosten für die städtische Fußballarena wünschen.
Die Partei, so der Vorwurf, sorge kaum noch für „Grün pur“
Rüsing stellt allerdings klar, dass ihm mehr noch die seiner Ansicht nach zu passive Haltung der grünen Kreispartei erbost. Er könne noch mit Mühe nachvollziehen, dass die Ratsfraktion Kompromisse machen muss, wenn er sie auch als zu willfährig empfindet, „aber der grüne Kreisverband kommt politisch nicht mehr vor“. Das ist eine Meinung, die man auch unter weniger kritischen Essener Grünen findet. Die Partei, so der Vorwurf, sorge kaum noch für „Grün pur“.
Der mit viel Getöse vollzogene Fraktionsaustritt von Julia Kahle-Hausmann ist noch nicht verdaut, jetzt noch der Fall Rüsing - die Frage, was eigentlich los ist bei den Grünen, drängt sich auf. Hat sich die Fraktion zu sehr an die drei anderen Fraktionen im Viererbündnis angelehnt, geht das grüne Profil flöten? „Das sehe ich überhaupt nicht“, sagt Hiltrud Schmutzler-Jäger, deren klares Ja zur Zusammenarbeit mit der CDU nicht jedem bei den Grünen gefällt. „Natürlich könnten wir Fundamental-Opposition betreiben - aber was hilft uns das?“.
Als kleine Partei seien die Grünen nun mal darauf angewiesen, Mehrheiten zu finden. „Das heißt nicht, dass man nicht auch mal klar sagt bis hierhin und nicht weiter“, betont Schmutzler-Jäger und nennt das Thema Messe-Ausbau: „Wo wäre die Gruga denn, wenn wir nicht dagegen gehalten hätten.“ Andererseits dürften Grüne nicht einfach einen bestimmten Zustand für heilig erklären. „Gedanken über Entwicklungen muss man sich schon noch machen dürfen.“ Das gelte auch für Gewerbeansiedlungen. Die Unzufriedenen erreicht die Fraktionschefin damit offenbar nicht. „Auf Essener Ebene ist grüne Politik zur Machtpolitik mit der Vierer-Bande verkommen“, sagt Rüsings Ehefrau Waltraud Mantej, ebenfalls lange bei den Grünen aktiv und gestern zeitgleich mit ihm ausgetreten. Beide nennen überdies auch überregionale Themen, etwa die von den Grünen mitgetragene Erhöhung der Landtags-Diäten.
Vergebliche Appelle
Heribert Rüsing ist kein Einzelfall. Gerade am Beispiel der Grünen Harfe ist eine gewisse Entfremdung zwischen den engagierten Natur- und Landschaftsschützern, versammelt am „Runden Umwelt-Tisch Essen“ (Rute), und den Grünen festzustellen. Altgediente Kämpen wie Horst Pomp oder Dieter Küpper reiben sich nicht selten an Entscheidungen, die die Grünen im Rat mittragen. Eine gewisse Grundspannung ist sicher normal, aber die Tendenz zum Zerwürfnis ist inzwischen groß, das zeigt der Fall Rüsing.
Den Weg anderer Essener Grüner gehen und bei den Linken andocken will Rüsing allerdings auf keinen Fall..