Essen. Die Adventszeit ist für verwaiste Eltern besonders schwer. Mit einem Gottesdienst erinnern sie am kommenden Sonntag an ihre verstorbenen Kinder. Mit der Idee stieß Pfarrer Andreas Volke auf ein tiefes Bedürfnis, selbst aus Nachbarstädten kamen verwaiste Eltern, Großeltern und Geschwister nach Rellinghausen.

Als sie im vergangenen Jahr den Baum schmückte, war Daniela Kilian schon sicher, dass sie schwanger ist. „Bei jeder Kugel freute ich mich auf das nächste Weihnachtsfest mit meinem Kind.“ In diesem Jahr werden Daniela Kilian und ihr Ehemann keinen Weihnachtsbaum kaufen. „Am Ende des achten Monats hörte Simons Herz zu schlagen auf.“

Das war im Sommer, und nun durchlebt das Paar einen schweren Advent. „Für viele ist jetzt die Zeit der Erwartung“, sagt Daniela Kilian. „Für die anderen ist es eine quälende Zeit.“ Auch darum wird am zweiten Sonntag im Dezember weltweit der verstorbenen Kinder gedacht. Die evangelische Gemeinde Rellinghausen feiert an diesem Sonntag einen Gedenkgottesdienst, den die Essener Gruppe der verwaisten Eltern gestaltet hat. In dieser Gruppe, die seit beinahe 30 Jahren besteht, helfen sich Mütter und Väter, die ihre Kinder verloren haben. Als Babys, Schulkinder oder als junge Erwachsene.

Auch Gisela Fischer wandte sich vor neun Jahren an die Gruppe, Pfarrer Andreas Volke hatte ihr dazu geraten. Er hatte ihren Sohn konfirmiert, ihn in seiner anderthalbjährigen Leidenszeit begleitet. Mit 19 starb der Junge an Krebs. „Damals fragte ich mich: Wie kann die Gemeinde der Familie helfen, mit ihrer Trauer umzugehen“, erinnert sich Volke. So sei es zum ersten Gottesdienst für verstorbene Kinder gekommen. Er traf auf ein tiefes Bedürfnis: Selbst aus Nachbarstädten kamen verwaiste Eltern, Großeltern und Geschwister nach Rellinghausen.

„Mein Sohn bleibt für immer 19“

„Mein Sohn kann keinen Geburtstag mehr feiern. Hier feiern wir ihn“, sagt Gisela Fischer. Obwohl sie während seiner Krankheit mit Gott gehadert habe: „Ich konnte nicht an ihn glauben.“ Pfarrer Volke habe dafür Verständnis; im Gedenkgottesdienst sind auch Nicht-Gläubige willkommen.

Selbst tiefgläubige Menschen geraten ins Wanken, wenn ihr Kind stirbt. „Ich habe Gott nicht angeklagt, ich habe resigniert. In dieser Zeit haben andere für mich gebetet – ich fand keine Worte“, sagt Claudia Siepermann. Ihre Tochter Pauline kam vor vier Jahren wie der kleine Simon tot zur Welt; und es war ihre Erstgeborene, die sie weitermachen ließ: „Für Anna musste ich da sein.“ Ihr aber auch sagen, dass das Baby im Himmel ist.

Überwachte Friedhöfe

Ilse Lunau (68):
Ilse Lunau (68): "Dass ich jetzt hier gefilmt werde, finde ich überhaupt nicht schlimm. Schließlich habe ich nichts zu verbergen. Man fühlt sich einfach sicherer."Foto: Alexandra Umbach © fotoagentur-ruhr
Heinz Lunau (81):
Heinz Lunau (81): "Schlecht ist das nicht. Es passiert ja sonst soviel. Es gibt einem schon das Gefühl von Sicherheit, auch wenn die Kameras sicher nicht jeden Winkel erfassen." Foto: Alexandra Umbach © fotoagentur-ruhr
Heribert Lunau (71):
Heribert Lunau (71): "Es geht ja nicht nur um Diebstahl. Der Vandalismus stört auch die Totenruhe. Deshalb sind die Kameras schon in Ordnung. Das ist hier schließlich eine Ruhestätte."Foto: Alexandra Umbach © fotoagentur-ruhr
Anneliese Gedaschke (72):
Anneliese Gedaschke (72): "Die Kamera ist mir gar nicht aufgefallen, auch das Schild am Eingang habe ich übersehen. Wenn es etwas nutzt, dann finde ich das natürlich gut."Foto: Alexandra Umbach © fotoagentur-ruhr
Erika Bergmann (68):
Erika Bergmann (68): "Ich finde das Aufstellen der Kameras sehr gut. Bei uns am Grab haben sie auch schon eine selbst gebastelte Lampe gestohlen. Das gibt uns jetzt etwas mehr Sicherheit"Foto: Alexandra Umbach © fotoagentur-ruhr
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Mit diesen Worten hat auch Christiane Beiers vor Jahren ihre drei Kinder getröstet, ihnen den Tod der Ältesten zu erklären versucht. Eines Tages sagte die Zweitälteste zu ihr: „Mama, wenn ich groß bin, nehme ich eine große Leiter und hole Dir die Inken aus dem Himmel.“ Fast 30 Jahre ist es her, dass Inken starb: „An sie zu denken, gehört zu meinem Leben, auch wenn es mich heute in der Regel nicht mehr traurig macht.“

Ja, der Schmerz werde weniger, doch die Sehnsucht bleibe, sagt Elka Gueth. „Ihn noch einmal in den Arm nehmen!“ Ihr Sohn starb vor vier Jahren bei einem Motorradunfall, 21 Jahre alt. Ihr einziges Kind. „Die anderen sagen, die Welt dreht sich weiter. Aber sie dreht sich nicht weiter.“ Sie werde nie sehen, wie ihr Sohn sein Leben gestalte, werde keine Enkel haben: „Die Zukunft bricht weg.“ Damals habe sie nicht mehr auf sich Acht gegeben, nichts gegessen, an nichts Anteil genommen: „Nur geweint. Ich wollte nicht mehr.“ Die Gruppe verwaister Eltern tue ihr gut, sagt Elka Gueth, „und dass seine Freundin und sein bester Freund noch Kontakt zu mir halten“.

„Der Schmerz wird weniger, die Sehnsucht bleibt“

Das ist etwas Besonderes, andere haben erlebt, dass sich Freunde abwandten, überfordert oder hilflos. Dabei sei Beistand von außen wichtig, weil in der eigenen Familie alle in ihrer Trauer gefangen sind. So erinnert sich Gisela Fischer, dass sie ihrem jüngeren Sohn nicht helfen konnte. Obwohl der 15-Jährige den Tod des älteren Bruders als schlimmes Trauma erlebte. „Irgendwann sagte er zu uns: ,Bald bin ich ja auch dran.’“ Ohne professionelle Hilfe hätte sich die Familie nicht befreien können, glaubt Gisela Fischer. Geblieben sei die große Angst um den „Kleinen“, der heute 24 ist.

Angst kennen sie alle. Auch Daniela Kilian spricht von ihrer „unendlichen Angst“, wenn jemand meint, sie sei mit ihren 32 Jahren doch so jung, könne leicht wieder Kinder haben. Diese Leichtigkeit ist ihr abhanden gekommen: Sie hat vor Simon schon ein Kind früh in der Schwangerschaft verloren. „Von außen betrachtet, hat sich bei uns nichts verändert: Wir waren kinderlos, wir sind jetzt kinderlos. Aber ein Freund traf es, als er am Telefon sagte: ,Euer Leben hat sich dramatisch verändert.“

Daniela Kilian will dieses Drama nicht verstecken. „Simon ist still geboren, er war für die meisten Menschen nicht sichtbar, aber wer uns besucht, muss sich mit ihm auseinandersetzen.“ Eine besondere Rassel und ein Strampler liegen im Wohnzimmer. Ein Tannenbaum wird dort nicht aufgestellt; sie und ihr Mann werden Heiligabend in die Messe gehen und über die Feiertage verreisen. „Nur Simon bekommt einen kleinen Weihnachtsbaum auf sein Grab.“

Die evangelische Gemeinde Rellinghausen an der Oberstraße 67 lädt am Sonntag, 11. Dezember, um 19.30 Uhr zum zehnten Mal zu einem Gottesdienst für verstorbene Kinder. Gestaltet wird er von der Essener Gruppe der verwaisten Eltern und dem „Ronald McDonald“-Haus am Uniklinikum. Auch in der Melanchthonkirche an der Melanchthon-straße 3 in Holsterhausen wird an diesem Sonntag, 11. Dezember, um 18 Uhr der verstorbenen Kinder gedacht. Die Elterninitiative zur Unterstützung krebskranker Kinder e.V. hat den Gottesdienst unter dem Motto „Hinterm Horizont geht’s weiter“ gemeinsam mit betroffenen Müttern und Vätern gestaltet.