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Es sind die Videos aus den Überwachungskameras im Hauptbahnhof, die den Angeklagten das Leben schwer machen werden. Sie zeigen zum Prozessauftakt vor dem Schwurgericht, wie kaltschnäuzig sie mit ihren Messern im Trubel auf dem Bahnsteig 7/10 agierten. Versuchter Totschlag ist angeklagt.

Entsetzt hatte die Öffentlichkeit auf die Tat vom 8. Fe­bru­ar reagiert. Es war ein Dienstag, kurz vor acht Uhr, als zwei junge Männer, 19 und 20 Jahre alte Brüder aus dem Irak, auf dem Bahnsteig niedergestochen und lebensgefährlich verletzt wurden. Dass um sie herum zahlreiche Berufspendler auf ihre Züge warteten, störte die Angreifer nicht. Angeklagt sind die Brüder Mümtaz (27) und Refik K. (26), aus der Türkei stammende Kurden, die am Dienstag Teilgeständnisse ablegten.

Junge Männer beschimpft und provoziert

Aus­löser der Tat war wohl ihr kleiner Bruder. Der 16-Jährige hatte laut Anklage kurz zuvor eine Gruppe junger Männer, vorwiegend irakische Araber, auf der Kettwiger Straße provoziert. „Ihr kennt mich nicht? Wartet auf meine Brüder, dann kennt Ihr mich“, soll er laut Aussage der Iraker gesagt haben. Und als „Hurensöhne“ soll er sie beschimpft haben, als sie vor der Bahnhofshalle nicht auf seine von ihm herbei telefonierten Brüder warten wollten. Einer der Iraker, 20 Jahre alt, soll ihn deshalb geschlagen und zu Boden gebracht haben. Dann gingen die Iraker zum Bahnsteig.

Wenige Minuten später, die Videos vom Bahnhofsvorplatz zeigen es, kommen die beiden Angeklagten. Sie rennen die Treppen zum Bahnsteig hoch. „Ihr Bruder hat auf uns gezeigt“, sagt eines der Opfer. Beide Angeklagte seien mit Messern bewaffnet gewesen und hätten die unbewaffneten irakischen Brüder „mit Tötungsvorsatz“ angegriffen, sagt Staatsanwältin Elke Hinterberg in ihrer Anklage. In Kopf, Brust und Bauch trafen die Messer. Die Kameras erfassten die Stiche selbst nur am Rande. Aber die im Saal abgespielten Bilder zeigen, wie die Angeklagten ihre Opfer vor sich hertreiben. Scheu vor den Wartenden auf dem Bahnsteig haben sie nicht. Es erinnert an Gangsterfilme aus dem Chicago der zwanziger Jahre.

Angeklagte geben sich reumütig

Vor Gericht, nach einem halben Jahr in Untersuchungshaft, geben sie sich reumütig. Mümtaz K. bestreitet zwar, sein Messer eingesetzt zu haben, aber Refik K. räumt Stiche ein. Erregt seien sie gewesen, weil ihr kleiner Bruder geschlagen wurde und blutete. Deshalb hätten sie die Iraker zur Rede stellen und für die Polizei festhalten wollen. Rückblickend, sagen sie, sei es natürlich besser gewesen, direkt die Polizei einzuschalten.

Dolmetscher benötigt das Gericht nicht. Opfer und Angeklagte sind in Essen aufgewachsen, beherrschen die deutsche Sprache. Ein hartes Urteil, sagen die Opfer, wünschen sie nicht. 10 000 Euro Schmerzensgeld hat die kurdische Familie bereits an sie gezahlt. 80 000 Euro verlangen die Iraker insgesamt. Das Gericht hat noch weitere sieben Prozesstage terminiert.