Essen/Klagenfurt. .
Wie richtet man über Literatur? Beim Bachmann-Preis in Klagenfurt übernehmen das sieben Experten, die so genannte Jury. Die Runde der Kritiker ist dabei so bunt wie das Leben - oder die abendlichen Casting-Shows der Privat-Sender.
Der Bachmann-Preis wäre nicht das, was er ist, wenn es die Jury nicht gäbe. Die Jury bewertet, richtet und lädt ein – zwei lesende Literaten darf jedes Mitglied für die Klagenfurter Tage nominieren. Neben der Frage, welcher der Literaturkritiker am Ende das beste Pferd ins Rennen geschickt hat, steht vor allem eine Frage im Vordergrund: Wie bewertet man Literatur, die in einem Wettbewerb gegeneinander antritt? Sportler kann man anhand ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit messen, aber Texte? Nun, bei Literaturwettbewerben vertrauen die Veranstalter in der Regel eben auf eine kompetente Jury. Alles echte Profis, zumindest was Lesen und Schreiben angeht.
Beim Ingeborg-Bachmann-Preis versuchen gleich sieben Experten, den besten Text vor laufenden Kameras zu ermitteln. Das erinnert zuweilen an eine literarische Casting-Show, wie ORF-Programmdirektor Wolfgang Lorenz in seiner Eröffnungsrede mit einem Augenzwinkern bemerkte. Zumindest lässt sich die Jury in bestimmte Typen einteilen, die wir auch aus gängigen Formaten wie „Popstars“ oder „DSDS“ kennen: Die Nette, der Fiesling, der leicht Bekloppte – in solche Schubladen kann der Beobachter auch die Personen auf den Klagenfurter Jury-Stühlen stecken.
(Lebens-)Weisheiten im rheinischen Dialekt
Doch wer richtet eigentlich in Klagenfurt über die hoffnungsvollen Jung-Autoren? Zuerst ist da der Wahldüsseldorfer Hubert Winkels, der gerne das erste Wort ergreift. Die wilden Haare und der Dreitagebart verleihen ihm die Aura eines Hindu-Weisen, der in der Einsamkeit des Himalaya seinen Verstand via Meditation schärft und auf alles eine Antwort hat. Dieser Eindruck wird insbesondere durch die Urteile vermittelt, die reflektiert, ergiebig und plausibel sind wie bei keinem Zweiten in der Runde. Winkels zerpflückt einen Text mit mikroskopischer Akribie, achtet auf die Motive, auf Bilder, ordnet aber auch in größere Zusammenhänge ein. Manchmal beschleicht den geneigten Beobachter sogar das Gefühl, als spiele der eigentlich zu bewertende Text nur eine Nebenrolle, wenn Winkels seine (Lebens-)Weisheiten im rheinischen Dialekt vorträgt. Er ist der Gelehrte der Runde.
Neben Winkels sitzt die Schweizer Literaturprofessorin Hildegard Elisabeth Keller. Ihr warmes Lächeln erlischt nie, sondern lodert immer mindestens auf Sparflamme. Die Mediävistin und Mystik-Expertin fühlt sich sichtlich wohl in der Welt der Texte. Das unterstreichen auch ihre warmen Worte, vor allem, wenn sie den Siegerbeitrag der österreichischen Autorin Maja Haderlap bewertet. Egal, wie sehr Keller in eine Geschichte auch eintauchen kann, ihr Urteil bleibt treffsicher und pointiert. Sie ist dabei sanfter als alle anderen Juroren – wo andere knallhart bewerten, gibt sie eher gut gemeinte Ratschläge.
Der österreichische Kulturjournalist Paul Jandl ist der Grantler der Runde, und wohl auch der hitzigste Kopf im Kreis der Juroren. Jandl ist der Gegenspieler Winkels. Würde ein Hollywoodregisseur den Bachmann-Preis verfilmen wollen – seien wir ehrlich, kaum ein Konjunktiv könnte notwendiger sein als der an dieser Stelle – so würde er Daniel Day-Lewis (Winkels) und Bruce Willis (Jandl) verpflichten. Als Besucher des Bachmann-Preises meint man, von Jandl ausschließlich negative Beurteilungen zu hören. Doch das wäre zu kurz gedacht, schließlich findet er auch Autoren gut: Nämlich diejenigen, die er selbst vorgeschlagen hat. Man könnte auch behaupten, dass Jandl vielleicht ein besonders kompetenter, da anspruchsvoller Kritiker sei. Doch dafür übersieht er zu oft selbst die offensichtlichsten Details eines Textes.
Jeder richtet anders
Der freie Schriftsteller und Literaturprofessor Burkhard Spinnen hat den Vorsitz der Jury inne. Doch das heißt nicht, dass er seine Meinung als Universalerkenntnis durchzusetzen versucht. Er kommt meist als letzter zu Wort, fasst zusammen, resümiert und ergänzt. Der sehr bildreichen Sprache Spinnens kann man als Zuhörer gut folgen. Seine Metaphern wiederholt er an einem Tag gerne auch mal so lange, bis er sicher sein kann, dass auch wirklich jeder im Studio sie verstanden hat. Trotz seiner unbestechlichen Meinung ist er gütig und gerecht. Und so ist er schon so lange beim Bachmann-Bewerb dabei, dass man meint, er gehöre schon zur Studio-Kulisse.
Die Wienerin Daniela Strigl hämmert ihre Urteile dagegen sehr direkt mit österreichischem Dialekt gen AutorIn. Sie wirkt sehr streng, ist aber furchtbar nett, wenn die Aufzeichnung und damit ihre Rolle als Literaturkritikerin endet. Strigl hat einen trockenen Humor, mit dem sie sarkastische Bemerkungen macht, ohne auch nur ansatzweise eine Miene zu verziehen. Niemand arbeitet enger am Text als sie, niemand sucht akribischer nach Beweisen für Aussagen, schwarz auf weiß. Sie ist der Sherlock Holmes der Literaten-Kritiker.
Der Schweizer Übersetzer und Schriftsteller Alain Claude Sulzer ist dagegen eher der statische Typ. Und, so raunt sich so mancher Zuschauer böswillig zu, auch in Sachen Kritik-Kompetenz wenig beweglich. So verweigerte er die Beurteilung des späteren Zweitplatzierten Steffen Popp mit der Begründung, dass Popp Lyriker sei und er, Sulzer, nichts mit Lyrik anfangen könne. Er stiehlt sich damit aus der Verantwortung, einen sehr kryptischen und schwierigen Text sezieren zu müssen – nur dummerweise ist genau das sein Job. Popps Text ist keine reine Prosa, sondern eine Mischform und ein erzählerisches Experiment, das sich den üblichen narrativen und dramatischen Mustern entzieht. Doch scheinbar hat Sulzer Angst davor. Er ist der Konservative in der Jury.
An der rechten Peripherie des Halbkreises aus weißen Sesseln sitzt schließlich Meike Feßmann. Sie ist streng, bleibt dabei aber sachlich und fair. Sie versucht, so objektiv wie möglich zu bleiben, ihre Kritiken haben eine wenig persönliche Note, sondern funktionieren einfach aus dem Text heraus. Mit dieser fast schon logischen und prämissenhaften Herangehensweise überzeugt sie, ohne allerdings groß hervorzuragen. Auch weil so mancher Studiogast sie auf Grund ihrer unvorteilhaften Sitzposition nicht zu Gesicht bekommt, ist sie eher unscheinbar.