Essen. .

Rund zweieinhalb Kilometer misst der Rundlauf. Erstmals führen in diesem Jahr Touren zu Fuß durch die Essener City. „Strukturwandeln“ lautet das Motto, bei dem sich Essen entdecken lässt. Über größere Nachfrage würden sich die Tourengänger nicht beklagen.

Es gibt Tage, da stehen sich die Führer von Ruhrgebiet-Tourgebiet vor dem Haus der Technik umsonst die Beine in den Bauch und warten vergeblich auf Neugierige, die sich mit ihnen auf einen Stadtrundgang durch Essen machen wollen – während direkt daneben vollbepackt die Doppeldecker-Busse zur Tour durch die Ruhrstadt aufbrechen. Schade eigentlich, denn die City lässt sich wunderbar zu Fuß erkunden. „Strukturwandeln“ ist das Motto des Stadtrundgangs per pedes. 90 Minuten lang, etwa zweieinhalb Kilometer. Ein Testlauf.


Der Führer: An diesem Tag ist es Alex Schwegl, einer aus einem achtköpfigen Team. Der 38-Jährige führt durch die Schalke-Arena, den Landschaftspark in Duisburg, das Lichtkunstmuseum in Unna, im Bus durch Essen – und zu Fuß durch die City. An der Innenstadt-Architektur schätzt Schwegl „die unglaubliche Vielfalt“, aus der man fast kein Bauwerk hervorheben könne. Mit Details kann Schwegl trotzdem über fast jedes Haus punkten. Geschichtliche Eckdaten beherrscht er aus dem Eff-Eff. Der Sprachstil ist unterhaltsam flapsig: „Wenn wir aufzählen müssten, wo er überall seine Finger drin hatte, dann stehen wir noch morgen hier“, sagt Schwegl vor dem Grillo-Theater über den namensgebenden Unternehmer. Nur warum das Deutschlandhaus so heißt, wie es heißt, da muss Schwegl passen. Dafür weiß er Dinge, die selbst eingefleischten Essenern noch ein kleines Raunen entlocken dürfte: Etwa, dass an der Front des Baedeker-Hauses vier steinerne, übermannsgroße und schon stark erodierte Gestalten Wissenschaft, Kunst, Handel und Arbeit symbolisieren – durch die dichten Bäume auf der „Kettwiger“ ist das kaum zu erkennen. Und eins könnten sich Besucher übrigens bei nahezu jedem Bauwerk dazudenken, falls Schwegl es zu erwähnen vergisst: „Das wurde im Krieg fast vollständig zerstört.“

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Die Tour: Das Ganze ist ein Kreislauf, eine Strecke entlang der alten Stadtmauern, von denen keine Reste geblieben sind. Startpunkt ist der Willy-Brandt-Platz, das Tor zur Innenstadt, mit Handelshof, Kaufhof und Hauptpost. Plätze, Hochhäuser, Historie. Vom Bankenviertel vorbei am „Grillo“ über den Kennedy- zum Limbecker Platz mit dem nahen Unperfekthaus, Weberviertel, Kreuzes- und Marktkirche, Dom und Alte Synagoge, Lichtburg. Zum Abschluss erklingt das Glockenspiel des Juweliers Deiter auf der Kettwiger. Ob im oder gegen den Uhrzeigersinn gelaufen wird, entscheidet jeder Führer individuell. Um eine Beweihräucherung der City geht es gerade nicht: „Ich zeige Ihnen nicht nur die schönen Ecken“, sagt Schwegl. Beim Blick auf manche Bänke am Rande des Rundgangs ist das nicht untertrieben.


Die Gruppe: Auswärtige sind gekommen, für gewöhnlich sind zwei Drittel der Tourengänger Essener. Zwei Ehepaare aus Herne schlendern mit Schwegl durch die Innenstadt, die sie sonst nur von regelmäßigen Besuchen zum Einkaufen kennen. Das Essen an „seinem Image als Einkaufsstadt immer noch weiterarbeitet“, weiß Schwegl schon zu Beginn zu berichten. Es gibt Momente, da wird die Gruppe mit ihrem Vorredner von Passanten mit überraschten Blicken bedacht. „Ah, den kennen wir vom Weihnachtsmarkt“, sagen die Herner, als sie am Willy-Brandt-Platz stehen. Nicht der einzige Aha-Effekt: Im heutigen Europa- und früheren Amerika-Haus versuchten die USA einst, den Deutschen ihre Kultur nahe zu bringen. „Da waren wir in der Schule“, sagt Annemarie Hempen. „Das war Pflicht“, ergänzt Ingrid Dolar. Vom Konzept des Unperfekthauses zeigen sich die Herner begeistert. Gelächter erntet Schwegl auf die Erklärung, die Fassade des Einkaufszentrums Limbecker Platz sei dem vollendeten Kleid einer Frau nachempfunden. Am Ende der Führung wird die kleine Gruppe Schwegl applaudieren: Zu Fuß könne man „die Architektur einfach viel besser wahrnehmen“, sagt Annemarie Hempen, die eine „moderne, neue Stadt“ durchlaufen hat. Die Herner wollen wiederkommen – um sich die Alte Synagoge mal von innen anzuschauen, und auch, um die Stadt nochmal per Bus zu erkunden.

Ein Entdeckungsspaziergang


Der Organisator: Mit der Resonanz auf das in diesem Jahr neu aufgelegte Angebot der Essener Stadtrundgänge kann Sven Hilling von Ruhrgebiet-Tourgebiet nicht zufrieden sein. Nur etwa jede zweite angebotene Führung findet auch tatsächlich statt: Vor allem unter der Woche „ist wenig Betrieb“. Ab Freitag, 1. Juli, wird der Startpunkt von 13.15 auf 15 Uhr nach hinten verlegt: „Wir gucken mal, ob das effektiver ist“, hofft Hilling, der guter Dinge ist: „Es spricht sich langsam herum. Und wenn man so etwas etablieren kann, dann in Essen.“ Immerhin: Eine Mengenbeschränkung gibt es nicht: „Wenn da jemand steht, dann läuft die Tour.“ Ein Entdeckungsspaziergang durch die City lohnt für jeden Einzelnen.