Essen. . Die Leiter der Förderschulen schlagen Alarm. Sie wissen nicht, wie sie die gut 200 pflegebedürftigen Kinder und Jugendlichen nach den Sommerferien betreuen sollen. Ohne Zivis sei kein Unterricht möglich: “Wir könnten die Kinder nur noch verwahren.“

Wenn Tobias nicht wäre, Selini könnte nicht zur Schule gehen. Dabei macht ihr der Unterricht an der Traugott-Weise-Schule in Borbeck richtig Spaß, auch wenn sie wie viele Kinder ihres Alters nicht immer bei der Sache ist. Bei der Elfjährigen liegt das allerdings nicht am fehlenden Willen. Selini ist mehrfach behindert, auf den Rollstuhl angewiesen und auf vielerlei Hilfen, die ihr der 20-jährige Zivildienstleistende Tobias gibt: Er holt sie morgens am Bus ab, er wickelt sie, er füttert die Elfjährige, er lagert sie, damit sie schlafen kann, und im Unterricht sitzt er neben seinem Schützling. Doch genau diese Hilfe an den vier Förderschulen in Essen ist in Gefahr.

"Ohne Zivildienstleistende kein Unterricht möglich"

Für die Schulleiter stellt sich die Frage, ob und wie sie überhaupt die gut 200 pflegebedürftigen Kinder und Jugendlichen an den drei städtischen Schulen und der Schule des Landschaftsverbandes Rheinland mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung nach den Sommerferien betreuen sollen. „Wir wissen nicht, wie es weitergeht“, sagen Herbert Hahn (Traugott-Weise-Schule), Bea Küpperfahrenberg (Comenius-Schule), Ulrich Speer (Pestalozzi-Schule) und Bernhard Thomas (Helen-Keller-Schule). „Es ist eigentlich ein Treppenwitz“, meint Herbert Hahn, „als Förderschulen stehen wir vor der Situation, dass wir genau diese Kinder nicht mehr unterrichten können.“ Ohne Zivildienstleistende, betonen die Schulleiter, ist kein Unterricht möglich.

Noch rund 1000 Zivi-Stellen in Essen

Das Dilemma betrifft nicht nur die Förderschulen: Der Zivildienst läuft aus, der als Ersatz gedachte Bundesfreiwilligendienst, der ab dem Sommer die Lücke schließen soll, ist noch nicht mit Leben gefüllt. Beim zuständigen Bundesamt für den Zivildienst in Köln schütteln sie den Kopf: „An den Bedingungen wird intensiv gearbeitet. Mehr können wir zurzeit nicht sagen.“ Rund 1000 Zivi-Stellen gibt es (noch) in Essen, Ende März waren davon 432 besetzt: 33 beim DRK, 26 beim Uni-Klinikum, zehn bei den Maltesern, viele bei den Krankenhäusern und Altenheimen – aber eben auch 28 an den vier Förderschulen, die hier beispielhaft mit ihrem Problem stehen und der Frage, wie es weiter geht.

An den Schulen jedenfalls steht und fällt mit den Zivis die Pflege der Kinder und Jugendlichen. Es sind eben auch nicht wenige: Von 162 Schülern benötigen an der Traugott-Weise-Schule 49 regelmäßige Hilfe, weitere 13 permanente Unterstützung im Schulalltag. Ähnlich das Bild an der Comenius-Schule: „Ohne die Zivildienstleistenden schaffen wir es nicht“, sagt Schulleiterin Bea Küpperfahrenberg. „Es wäre kein Unterricht mehr möglich, wir könnten die Kinder nur noch verwahren.“ Ulrich Speer, Leiter der Pestalozzi-Schule sieht, „dass uns die Zeit davon läuft. Kein Mensch kann zurzeit sagen, wie viele Jugendliche sich überhaupt zum Freiwilligendienst melden werden. Wir brauchen aber Klarheit, wir müssen das nächste Schuljahr planen, die Eltern möchten wissen, wo sie dran sind, wie es weiter geht.“

Nach Lösungen suchen

Es ist nicht die einzige Baustelle: Wie entwickelt sich das „Freiwillige Soziale Jahr“ (FSJ) weiter, fragen sich die Schulleiter, steht es künftig in Konkurrenz zum Bundesfreiwilligendienst? Jede Schule konnte bislang über das FSJ junge Frauen gewinnen, die bei der Pflege jugendlicher Schülerinnen helfen. Fallen die nun auch weg? Mit dem städtischen Fachbereich Schule hat es erste Gespräche gegeben: „Wir sehen das Problem und suchen nach Lösungen“, heißt es dort.

Selini jedenfalls wäre allen Schweiß wert. Tobias wird sie im Sommer verlassen. „Es war eine tolle Zeit mit den Kindern. Ich werde sie vermissen“, sagt der 20-Jährige, der an die Uni wechselt. „Ich kann die Arbeit nur jedem empfehlen. Ich hoffe, dass es hier weiter geht.“