Der Pina Bausch-Schüler und Choreograf Samir Akika vor der Uraufführung von „Critical Mess“ im WAZ-Gespräch.

Am Ende des Gesprächs hat Samir Akika es plötzlich eilig. Er will noch Golf spielen in Werden vor der nächsten Probe. Golf – das ist nicht unbedingt die Art Freizeitbeschäftigung, die man bei einem Choreografen vermuten würde. Aber was ist schon typisch bei Samir Akika?

Der gebürtige Algerier, aufgewachsen in Paris, wollte Profi-Basketballer in den USA werden. Bis er ein Video von Pina Bauschs „Frühlingsopfer“ sah. Mit 26 Jahren entschied er sich dann für eine neue Zukunft: als Tänzer. Das ist reichlich spät, in Frankreich zu spät für eine Ausbildung. Eine Chance bekam er an der Folkwang Hochschule, mit Bausch-Protagonistin Malou Airaudo als Mentorin. „Sie wurde eine zweite Mutter für mich. Sie hat mich gerettet“, sagt Akika. Seitdem arbeitet er als Tänzer, Choreograf, Regisseur und Filmer. 2001 erhielt er den Kurt-Jooss-Preis.

Die schlimmste Frage für ihn sei die nach dem Inhalt des Stücks. Einverstanden. Aber auch das ist ungewöhnlich. Nicht unbedingt für einen Tänzer, aber doch für einen Regisseur im Schauspiel. Samir Akika inszeniert zurzeit am Grillo Theater. „Critical Mess“ heißt das Stück. Es geht um Subkulturen, sagt das Programm. „Was bedeutet heute noch Subkultur? Wie und wogegen lässt es sich noch rebellieren?“ Für Samir Akika aber geht es nicht mehr nur um Subkulturen. Für ihn spricht das Stück vor allem darüber, „wie schwierig es ist, frei zu sein vom Mainstream“.

Interessant ist die Mischung von (Hip-Hop-)Tänzern, Musikern und Schauspielern auf der Bühne. Auch Graffiti-Künstler sind dabei, sie gehören zu Akikas Künstlerkollektiv „Unusual Symptoms“. Jeder macht alles an diesem zweistündigen Abend, Schauspieler tanzen, Tänzer singen, Musiker sprechen. Das ist Konzept bei Akika. Und auch, dass auf der Bühne über Persönliches, über die eigene Realität gesprochen wird. „Die ist stark genug“, meint er.

Akika könnte als einer von seinen jungen Bühnenkünstlern durchgehen. Er ist 43 Jahre alt. Aber mit seinen bunten Turnschuhen, der weiten Jeans und den wirren Haaren wirkt er jünger. Vielleicht ist es auch seine Art, sich keiner Kategorie zu- und keinem System unterordnen zu wollen.

Samir Akika produziert als freier Künstler, choreografiert in Usbekistan, Kambodscha oder im Jemen. Jetzt arbeitet er mit Anna K. Becker und Sebastian Zarzutzki zwar nicht zum ersten Mal zusammen, aber erstmals im Team gleichberechtigter Regisseure. Und unter den Bedingungen eines Stadttheaters. So wird das Thema des Stücks – das Zusammentreffen von vermeintlicher Sub- und Hochkultur – auch zu seinem persönlichen. „Selbstständiges Arbeiten bedeutet für mich Freiheit“, sagt Akika. Jetzt ist er erschöpft. „Ich habe die letzten Tage gezählt“, gibt er zu.

Aber wirklich frustriert hat ihn etwas ganz anderes in seinem Leben: „Pina hat mich nie in ihre Kompanie aufgenommen“, erzählt er. Choreograf habe er eigentlich nie werden wollen. „Das ist mir so passiert.“ Ähnliches sagt er auch über seine Arbeit auf der Bühne. Die Dinge passierten ihm einfach, zum Beispiel, dass ein Tänzer auch spricht. „Es gibt keine festen Regeln. Ich folge meinem Instinkt.“ Deshalb fällt es ihm auch schwer, über sein Stück zu reden. „Du musst meine Arbeit sehen!“ Am Samstag ist Premiere.

Headspin“ sollte das Stück ursprünglich heißen, ein Wort aus dem Hip-Hop-Vokabular. Weil die Produktion aber gängige Klischees nicht nur benennen, sondern vor allem ausräumen will, wird das Wort nun durchgestrichen. „Crossen“ nennen das die Graffiti-Künstler. Im zweiten Teil des Titels - „Critical Mess“ - nimmt die Produktion Bezug auf die Protestform „Critical Mass“ und spielt mit den Begriffen. Aus der Masse wird das Chaos.

Aus dem Schauspiel-Ensemble tanzen und spielen Laura Kiehne, Jannik Nowak und Sebastian Tessenow mit. Premiere der Uraufführung ist am 26. März im Grillo-Theater. Weitere Termine sind am 30. März, 10, 16. und 28. April. Info und Karten gibt es unter 81 22 220 sowie unter www.theater-essen.de