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Der frühere NS-Funktionär Ernst Achenbach machte nach 1945 bei der FDP Karriere - Kreischef Witzel verteidigt ihn noch heute. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) will Donnerstag eine Mahntafel an der FDP-Geschäftsstelle aufstellen.

65 Jahre nach Kriegsende ist die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit noch immer nicht abgeschlossen. Jetzt muss sich die örtliche FDP mit einer problematischen Personalie befassen: Ernst Achenbach. Der war einst NSDAP-Mitglied und in hoher Funktion an der deutschen Botschaft in Paris tätig, nach 1945 machte der Essener Jurist Karriere bei den Liberalen.

Achenbach ist seit 20 Jahren tot, und sein Werdegang ist kein Einzelfall. Doch die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) stört sich daran, dass es der FDP bis heute an Aufklärungswillen im Fall Achenbach mangele. „Seine Mitwirkung an den Nazi-Verbrechen war für die FDP kein Hinderungsgrund, ihn in den Landtag, in den Bundestag und später ins Europaparlament wählen zu lassen.“ Dabei sei er im Zweiten Weltkrieg „mitverantwortlich gewesen für die Deportation jüdischer Menschen aus Frankreich“.

Die Vereinigung bemüht sich seit längerem, eine Mahntafel an der FDP-Geschäftsstelle in Huttrop anbringen zu lassen. Ein etwas vermessenes Ansinnen; schließlich wurde das Gebäude nicht etwa ausgewählt, weil es in Beziehung zu Achenbach stünde oder einst eine NS-Stelle beherbergt hätte. Der Rat mochte sich mit der abseitigen Anregung erst gar nicht befassen, und Essens FDP-Chef Ralf Witzel sagt: „Ein zwangsweises Anbringen einer Plakette an Privateigentum halte ich für halbseiden.“

„Die Vorwürfe sind historisch nicht haltbar“

Die VVN will nun am Donnerstag, 27. Januar, um 17 Uhr „symbolisch“ die Tafel vor dem FDP-Sitz an der Seidlstraße aufstellen. „Wir haben Demonstrationsfreiheit“, kommentiert Witzel. Im übrigen sei die VVN ja einem „klaren politischem Spektrum zuzuordnen“ - eine Anspielung auf deren kommunistische Ausrichtung.

Auch über die Ausrichtung von Ernst Achenbach hat sich Witzel informiert. Mit dem Ergebnis, dass die VVN eine „falsche Einordnung“ des Politikers vornehme, und der FDP „kein Mangel an Aufklärung“ vorzuwerfen sei. „Die Vorwürfe gegen Achenbach sind von seiner Familie glaubwürdig entkräftet worden, sie sind so historisch nicht haltbar.“

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Witzel bezieht sich auf ein Schreiben von Hanno E. J. Achenbach, dem Sohn von Ernst, vom August 2010. Dass sein Vater nach 1945 für eine Amnestie für NS-Täter warb, bestreitet Achenbach junior, Rechtsanwalt wie der Senior, nicht. Er argumentiert: „Das war damals offizielle Politik der Bundesregierung unter Bundeskanzler Adenauer.“ Zu einer Mitwirkung an Deportationen schreibt Hanno Achenbach: „Wäre der Vorwurf berechtigt, hätte eine Straftat vorgelegen. Infolgedessen sind immer wieder Strafanzeigen gegen Dr. Ernst Achenbach erstattet worden, die immer wieder von verschiedenen Staatsanwaltschaften geprüft wurden. Es stellte sich jedes Mal heraus, dass sie nicht begründet waren.“

Ein Telegramm belastet Ernst Achenbach

Mit dieser Bewertung dürfte er recht allein stehen. Auch muss man fragen, ob die Essener FDP klug beraten war, sich wegen der Beurteilung Achenbachs ausgerechnet an dessen Familie zu wenden. Die Geschichtsforschung hat sich längst ein Urteil über ihn gebildet. So findet in einem 1996 erschienen Buch über den einstigen Heydrich-Stellvertreter Werner Best auch Achenbach Erwähnung. „Er hatte seit 1940 zu den jungen Leuten von Otto Abetz in der Deutschen Botschaft in Paris gehört und war als Leiter der politischen Abteilung dort sehr einflussreich gewesen, nicht zuletzt bei der Ingangsetzung der Deportation der französischen Juden“, schreibt Autor Ulrich Herbert.

Der Freiburger Geschichts-Professor sieht auch heute keinen Grund, sein Urteil zu revidieren: „Dass der an Deportationen beteiligt war, ist völlig unumstritten.“ Aussagekräftige Dokumente dazu gibt es im Bundesarchiv in Koblenz, vor allem ein Telegramm Achenbachs, in dem er 1943 ankündigt, dass man als Vergeltung für die Erschießung von zwei deutschen Offizieren in Frankreich 2000 Juden von dort in den Osten deportieren werde.

Juristisch würde eine solche Schreibtischtäterschaft allenfalls als Beihilfe zum Mord bewertet – und die verjährt, anders als Mord. Dass Achenbach nie verurteilt worden sei, besage also gar nichts, betont Herbert. Aber schon die Nazi-Jägerin Beate Klarsfeld verhinderte mit Hinweis auf Achenbachs Vergangenheit dessen Ernennung zum EWG-Kommissar: Im Juni 1971 demonstrierte sie mit jungen Franzosen vor Achenbachs Essener Büro.

Bei ihm traf sich die erste Nazi-Garnitur

Bemerkenswert ist freilich, wie glatt dessen Aufstieg zuvor verlaufen war. „Schon unmittelbar nach Kriegsende [hatte er] eines seiner zukünftigen Hauptbetätigungsfelder für sich entdeckt: die Verteidigung und juristische wie moralische Rehabilitierung ehemaliger Nationalsozialisten.“ So formuliert es der Augsburger Historiker Kristian Buchna in der Studie „Nationale Sammlung an Rhein und Ruhr“ von 2010, die die braune Anfangszeit der NRW-FDP beleuchtet.

Achenbach tritt darin als unentbehrlicher Parteispendensammler auf, der „seine Essener Anwaltskanzlei mehr und mehr zu einer Schnittstelle zwischen der nordrhein-westfälischen FDP, ehemaligen Funktionären der NS-Zeit und zahlungsfreudigen Vertretern der Ruhrindustrie aus- [baute]“. Herbert spitzt zu: „Bei dem ging die erste Nazi-Garnitur – drei Stufen über Eichmann – ein und aus.“

Vor diesem Hintergrund ist die Behauptung zu prüfen, bei Achenbachs Eintreten für eine Generalamnestie habe es sich bloß um ein zeittypisches Phänomen gehandelt. Buchna zitiert dazu Adenauer: „Nicht alle im Gewahrsam befindlichen Personen sind eines Gnadenerweises würdig.“ Kleine Fische habe man damals amnestieren wollen, erklärt Ulrich Herbert. „Achenbach aber wollte eine Generalamnestie für jeden vom Mitläufer bis zum Auschwitz-Täter – das ist ein Riesenunterschied!“

Eklatante Unkenntnis der Geschichte

Umso mehr wundert sich der Historiker über den offenbar laxen Umgang der Essener FDP mit ihrer Geschichte. „Es ist unstrittig, dass die FDP damals von NS-Kräften gekapert wurde.“ Achenbach sei dabei keine Randfigur gewesen; selbst im aktuellen Werk über das Auswärtige Amt („Das Amt“) ist er erwähnt.

Ende 2010 forderte der FDP-Politiker Gerhart Baum im ZDF eine Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit seiner Partei. Der frühere Bundesinnenminister beklagte, vor allem bei jüngeren Parteimitgliedern gebe es eine „eklatante Unkenntnis der Geschichte der eigenen Partei“. Sollte er Ralf Witzel gemeint haben?