Essen. . Immer mehr Essener Firmen entdecken das Thema Kinderbetreuung – aus durchaus eigennützigen Gründen. Auch finanzielle Anreize erleichtern den Firmen heute, Plätze einzurichten. Den größten Teil zahlt die Stadt.

Unternehmen in Essen engagieren sich zunehmend in der Betreuung von Mitarbeiter-Kindern. Eon-Ruhrgas und Kinderschutzbund, die im Herbst 2009 gemeinsam eine Kita im Grugapark eröffneten, wollen bis zum Jahresende ihre Kapazitäten vor Ort deutlich ausbauen – von derzeit drei auf sechs Gruppen. „Der Bedarf ist enorm, wir haben 320 Kinder auf der Warteliste“, berichtet Ulrich Spie, Vorsitzender des Kinderschutzbundes. Derzeit besuchen 50 Kinder die Einrichtung im Grugapark, die Hälfte der Plätze ist für Kinder von Eon-Mitarbeitern reserviert.

Am Montag dieser Woche begann der Energiekonzern RWE mit dem Bau einer neuen Kita auf dem Gelände des früheren „Meteoriten“ im Nordviertel (Grillostraße). Für 3,2 Millionen Euro entsteht dort eine Einrichtung mit 105 Plätzen. Das Haus, das im Sommer fertig wird, soll auch offen stehen für Kinder von Eltern, die nicht bei RWE arbeiten – etwa 20 Plätze seien für Kinder aus der Nachbarschaft reserviert, heißt es bei RWE. Thyssen-Krupp plant ebenfalls eine Betreuungsstätte für etwa 100 Kinder auf dem Gelände seines neuen Quartiers.

Viele Firmen buchen Plätze in bestehenden Einrichtungen: Die Deutsche Bank hat für Mitarbeiter ihrer neuen Service-Zentrale am Bismarckplatz (frühere Bundesbahndirektion) mehrere Plätze in der Kita „Pfiffikus“ in der Maxstraße (Westviertel) gebucht; Evonik verfährt ähnlich im Rüttenscheider „Spatzennest“. Die Stadtwerke haben Belegplätze in der „Hoppetosse“ (Beethoven-straße, Südviertel).

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Von DerWesten

Die Konzerne verweisen bei solchen Engagements gern auf ihre gesamtgesellschaftliche Verantwortung, doch es geht auch um handfeste Vorteile für die Firma. „Man muss die vielen gut ausgebildeten Frauen aus der Reserve holen, der Fachkräftemangel ist längst Wirklichkeit in der Wirtschaft“, berichtet Rena Fischer-Bremen. Die Rüttenscheider Unternehmerin gründete vor 16 Jahren die Firma „Kinderhut“ und verkauft deutschlandweit Betreuungskonzepte an Firmen. „Als ich meine ersten Präsentationen bei Unternehmen hatte, wurde ich angeschaut wie eine Außerirdische“, erinnert sie sich. „Heute gehört Kinderbetreuung nicht nur zum guten Ton, sondern die Firmen haben tatsächlich Handlungsdruck.“

Gütesiegel „Familienfreundlicher Arbeitgeber“

Auch finanzielle Anreize erleichtern den Firmen heute, Plätze einzurichten – in bestehenden Häusern oder gleich in Neubauten. So wird Betreiber RWE nur für neun Prozent der Betriebskosten seiner neuen Einrichtung aufkommen müssen, so wie andere „sonstige Träger“ auch. Den größten Teil (42 Prozent) trägt die Stadt, 36 Prozent trägt das Land, und für den Rest (13 Prozent) kommen die Eltern auf. „Das Kinderbildungsgesetz ,Kibiz’ macht es Firmen heute sehr viel leichter als früher, Betreuungseinrichtungen zu gründen“, erklärt Reinhart Harms, der stellvertretende Jugendamtsleiter. „Vor Juli 2008 mussten nämlich 54 Prozent der Betriebskosten vom Betreiber oder Träger beglichen werden.“ Da war es Vorständen oder Geschäftsführungen zu teuer, Betreuungsplätze zu organisieren.

Wie auch immer: „Kinderbetreuung ist heutzutage ein entscheidender Standortfaktor“, sagt Ulrich Kanders, Geschäftsführer des Essener Unternehmensverbandes (EUV, 300 Mitgliederfirmen).

Der Verband will im Sommer erstmals das Gütesiegel „Familienfreundlicher Arbeitgeber“ an engagierte Betriebe in Essen vergeben. „Auch Teilzeitmodelle oder attraktive Wiedereinstiegs-Programme machen Familienfreundlichkeit aus“, sagt Kanders. Und Ulrich Spie, der hauptberuflich als Personaldirektor für Eon-Ruhrgas arbeitet, ist sich sicher: „Sie müssen qualifizierte Frauen heute in allen Ebenen integrieren. Sie bilden das Potenzial der Zukunft.“