Essen. .

Marga Kingler-Busshoff, die legendäre WAZ-Fotografin früherer Tage, vollendet am 1. Januar ihr 80. Lebensjahr. Ihre Bilder sind Dokumente der Stadtgeschichte. In ihrem Leben spiegeln sich Stadt- wie Zeitungsgeschichte wider.

Netter Polizist: Ein Beamter hilft Marga Kingler-Busshoff über den Fluss.
Netter Polizist: Ein Beamter hilft Marga Kingler-Busshoff über den Fluss. © WAZ

Sommer 1977, vier Essener Jungs haben zum ersten Mal längeren Ausgang von zu Hause. Gut, weit sind sie nicht gekommen, nur bis zur Jugendherberge Werden. Plötzlich steht der Herbergsvater im Zimmer: Die WAZ ist gekommen, braucht dringend ein Bild für eine Reportage. Draußen steht eine Fotografin, die uns rasch mit sicherer Hand im Halbkreis drapiert, uns mahnt, möglichst dynamisch zu wirken, so als ob wir gerade ankommen würden. Dann macht es dreimal „Klick“ - meine erste Begegnung mit Marga Kingler-Busshoff. Es sollte nicht die letzte sein, was damals aber keiner ahnen konnte. Am 1. Januar wird die legendäre Bildjournalistin, die unzählige Essener vor der Linse hatte und bekannt war wie ein bunter Hund, 80 Jahre alt. Rückblick auf ein Chronisten-Leben, in dem sich Zeitungs- wie Stadtgeschichte widerspiegeln.

Gute Nerven, wenig Angst und schwer erschütterbares Selbstbewusstsein - das war das Mindeste, das eine Frau brauchte, wenn sie wie Kingler Anfang der 1950er Jahre die Pressefotografie erobern wollte. Jakob Funke, der WAZ-Mitbegründer und kaufmännisch verantwortliche Herausgeber, nahm damals die Einstellungen vor - und hatte gleich eine Woche später Kingler und ihren unmittelbaren Vorgesetzten im Zimmer stehen, der mit einer Frau am Arbeitsplatz irgendwie nicht klarkam. „Mädel, du machst das schon“, befand der Verleger väterlich. Damit war die Sache erledigt.

Und Marga Kingler, die gelernte Fotolaborantin, „machte das“ wirklich, fand schnell ihren Stil, wurde für die Essener Lokalredaktion zum Markenzeichen. „Das erste Foto war ein Autounfall am AEG-Haus an der Kruppstraße“, erinnert sie sich. Und auch daran, dass ihre Mutter am nächsten Morgen um 5 Uhr aufstand, den WAZ-Boten abpasste, um zu schauen, ob das Kind mit ihrem Foto wirklich in der Zeitung stand.

„Aber bitte nicht als Briefmarke veröffentlichen!“

Marga Kingler-Busshoff heute: Am 1. Januar wird die ehemalige Bildredakteurin der Essener WAZ-Lokalredaktion 80 Jahre alt. Foto: Remo Bodo Tietz
Marga Kingler-Busshoff heute: Am 1. Januar wird die ehemalige Bildredakteurin der Essener WAZ-Lokalredaktion 80 Jahre alt. Foto: Remo Bodo Tietz © WAZ FotoPool

Unfälle und Katastrophen waren allerdings nicht gerade ihre Lieblingsmotive. „Da diente die Kamera manchmal auch als Schutz, um die eigene Betroffenheit zu verbergen“, sagt Kingler. Menschen in alltäglichen Situation, die seinerzeit rasanten Veränderungen der Stadt, das Stille im lauten Getriebe - sowas lag ihr mehr. Und wenn man sie ließ, dann brachte die stets elegant auftretende Fotografin auch eine damals ganz neue Ästhetik und Bildsprache in die Zeitung: Mode etwa oder Kinder . „Ich habe immer am liebsten Menschen fotografiert“, sagt sie. Und die im Ruhrgebiet, gerade die einfacheren, seien am zugänglichsten gewesen. Wobei Marga Kingler aber eben auch die vielleicht wichtigste Fotografentugend besaß und es verstand, die natürliche Scheu der Leute vor der Kamera zu überwinden.

Das heißt andererseits nicht, dass sie nicht auch da war, wo es weh tat, wo Konflikte aufbrachen. „Ich hatte viel Ärger mit der Polizei, die damals ja viel härter auftrat.“ Bei der Mai-Kundgebung 1954 auf dem Burgplatz wurde sie sogar kurz festgenommen und ziemlich unsanft in die „Grüne Minna“ befördert.

Prägend war auch immer wieder die Erfahrung, einzige Frau in einer damals stark männerdominierten Zeitungswelt zu sein. In der Dubois-Arena in Borbeck, wo in den 1950er und 1960er Jahren berühmte Boxkämpfe stattfanden, bekam sie sie den Geist der Zeit hautnah zu spüren. „Da wurde ich vom Ring wegbeordert, weil ich als Frau die Boxer angeblich nervös machte.“ Nervös waren aber wohl eher spießige Funktionäre.

Weit überwiegt aber in der Erinnerung das Positive. „Am schönsten war es auf der Villa Hügel, wenn Alfried Krupp dort Kaiser und Könige zu Gast hatte.“ Krupps Generalbevollmächtigter Berthold Beitz mochte sie, und das kam Marga Kingler und der WAZ oftmals zugute. Etwa als sie exklusiv von der Salzburger Hochzeit Arndt von Bohlen und Halbachs mit Prinzessin Henriette von Auersperg berichten konnte.

Aus Marga Kinglers Archiv

Um 1960 wird in Essen Minigolf gespielt.
Um 1960 wird in Essen Minigolf gespielt. © WAZ
Bitterkalt war der Winter in Essen schon 1963.
Bitterkalt war der Winter in Essen schon 1963. © WAZ
Die Neubausiedlung Oststadt in den 60er Jahren.
Die Neubausiedlung Oststadt in den 60er Jahren. © WAZ
Die alte, kriegsbeschädigte Pauluskirche wird 1958 abgerissen.
Die alte, kriegsbeschädigte Pauluskirche wird 1958 abgerissen. © WAZ
Eine Modepräsentation auf der Kruppstraße um 1970.
Eine Modepräsentation auf der Kruppstraße um 1970. © WAZ
Ende der 60er Jahre wird gegen Bildungsnotstand demonstriert.
Ende der 60er Jahre wird gegen Bildungsnotstand demonstriert. © WAZ
Eins von Kinglers prominentesten Werken. 1960 in Essen.
Eins von Kinglers prominentesten Werken. 1960 in Essen. © WAZ
Historisches Porträt.
Historisches Porträt. © WAZ FotoPool
Eine Mode-Aufnahme.
Eine Mode-Aufnahme. © WAZ FotoPool
Schulkinder am Rande der Kruppstraße.
Schulkinder am Rande der Kruppstraße. © WAZ FotoPool
Legendäre Fotografen: Marga Kingler, Willy van Heekern und Wolf Schöne.
Legendäre Fotografen: Marga Kingler, Willy van Heekern und Wolf Schöne. © WAZ
Marga Kingler unter Tage.
Marga Kingler unter Tage. © WAZ
Die Bausstelle Thyssen-Hochhaus in den 60er Jahren. Vorne links im Bild die Bundesbahndirektion, auf der rechten Seite das Siemens-Gebäude.
Die Bausstelle Thyssen-Hochhaus in den 60er Jahren. Vorne links im Bild die Bundesbahndirektion, auf der rechten Seite das Siemens-Gebäude. © WAZ
Die Zeche Emscher.
Die Zeche Emscher. © WAZ
Am Bahnhof.
Am Bahnhof. © WAZ
Die Kettwiger Straße einmal wie ausgestorben.
Die Kettwiger Straße einmal wie ausgestorben. © WAZ
1954 fotografierte Zingler im Rahmen einer Mai-Demonstration Ausschreitungen und wurde im Laufe dessen von der Polizei festgenommen.
1954 fotografierte Zingler im Rahmen einer Mai-Demonstration Ausschreitungen und wurde im Laufe dessen von der Polizei festgenommen. © WAZ
Ein Schrotthändler durchstreift das Segeroth-Viertel.
Ein Schrotthändler durchstreift das Segeroth-Viertel. © WAZ
Marga Kingler in den 50er Jahren im Gespräch mit Jakob Funke (links), der zusammen mit Erich Brost die WAZ mitgründete.
Marga Kingler in den 50er Jahren im Gespräch mit Jakob Funke (links), der zusammen mit Erich Brost die WAZ mitgründete. © WAZ
Die Fotografin unter Tage.
Die Fotografin unter Tage. © WAZ
Mit Raubkatzen.
Mit Raubkatzen. © WAZ
Ein Polizist hilft Marga Kingler beim Überqueren eines Bachs. Im Hintergrund ein verunglückter Lkw.
Ein Polizist hilft Marga Kingler beim Überqueren eines Bachs. Im Hintergrund ein verunglückter Lkw. © WAZ
Marga Kingler im Gespräch mit Ex-Oberbürgermeister Wilhelm Nieswandt und dem damaligen Krupp-Generalbevollmächtigen Berthold Beitz.
Marga Kingler im Gespräch mit Ex-Oberbürgermeister Wilhelm Nieswandt und dem damaligen Krupp-Generalbevollmächtigen Berthold Beitz. © WAZ
Die Seeterrassen am Baldeney-See.
Die Seeterrassen am Baldeney-See. © WAZ
Marga Kingler mit dem früheren NRW-Ministerpräsidenten Heinz Kühn (links) und dem ehemaligen Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger.
Marga Kingler mit dem früheren NRW-Ministerpräsidenten Heinz Kühn (links) und dem ehemaligen Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger. © WAZ
Die Fotografin vor der Kamera.
Die Fotografin vor der Kamera. © WAZ
Früher - in den 60er Jahren.
Früher - in den 60er Jahren. © WAZ
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Die "Medienfrau der ersten Stunde" heute - beim Besuch der Lokalredaktion. © WAZ FotoPool
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„Beitz sah, dass ich draußen mit anderen Fotografen wartete und sagte: ,Komm rein, Mädchen, wir gehen jetzt erst mal was essen’.“ Als einzige Journalistin überhaupt erlebte sie die Hochzeitsfeier hautnah - ein Traum. Da nahm sie in Kauf, dass es damals schwierig war, von fernen Schauplätzen zu berichten. „Wir reisten mit schwerem Funkkoffer, den man zum nächsten Postamt schleppen musste, um von dort die Bilder zu versenden.“ Wenn dann der Redakteur daheim die Bilder aus Platzgründen zu klein ins Layout malte, konnte sie auch mal pampig werden. Ihr stehender Spruch: „Aber bitte nicht als Briefmarke veröffentlichen!“