Essen..
Jeden einzelnen Unfall hat das Verkehrskommissariat aufgezeichnet. Die Unfallkommission der Stadt berät dann über die von der Polizei ausgemachten „Unfallhäufungspunkte“, um die gefährlichsten Ecken der Stadt sicherer zu machen.
Der überdimensionale Stadtplan an der Wand mit den farbigen Stecknadelköpfen hat im Untergeschoss der Verkehrsdirektion der Polizei längst ausgedient. Doch der Name hat überlebt. „Elektronische Unfalltypen-Steckkarte“ heißt die Datei im Rechner der Verkehrsdirektion, in die Hauptkommissar Dirk Wondorf jeden Unfall einträgt, der von Polizisten aufgenommen, ins Innenministerium gemeldet und elektronisch zurück geschickt wird.
Schwarzer Kopf zeigt: Hier starb ein Mensch
Das digitale Fähnchen an der virtuellen Stecknadel signalisiert die Unfalltypen, die Größe des Stecknadelkopfes die Schwere des Unfalls. Ist er ganz schwarz, bedeutet das: An dieser Stelle starb ein Mensch. Acht solcher Köpfe musste Wondorf dieses Jahr schon eintragen, den bisher letzten an der Kreuzung Vogelheimer/Gladbecker Straße.
Im Computer trägt die Kreuzung hellrote Fähnchen: Hier wurden Fußgänger verletzt, weil sie wie die 16-Jährige Essenerin bei Rot auf die Straße gelaufen waren. Es war Nacht an jenem 16. November, es war diesig, das Mädchen war dunkel gekleidet und rannte einfach los: Ein 48-jähriger Mülheimer erfasste die 16-Jährige mit seinem Ford Focus. Wenige Stunden später starb sie im Krankenhaus. Jürgen Lückemeyer, Erster Polizeihauptkommisar und Chef des Verkehrskommissariates, zuckt hilflos die Schultern, wenn er über diesen Fall spricht. „Solche Unfälle können wir nicht verhindern. Andere dagegen sehr wohl.“ Genau deshalb trifft sich jeden Monat die Unfallkommission.
In ihr arbeiten Polizei, Verkehrs- und Baubehörde zusammen. 10 bis 15 Unfallhäufiungspunkte legt ihnen Hauptkommissar Wondorf jeden Monat auf dem Tisch. Wie die ermittelt werden, ist inzwischen per Erlass geregelt.
„Der erste Anhaltspunkt sind drei typgleiche Unfälle in einem Jahr“, zählt Wondorf auf. Der zweite: drei Tote oder Schwerverletzte an einer Stelle binnen drei Jahren. Und der dritte: Mindestens fünf Fußgänger und/oder Radfahrer wurden in den letzten drei Jahren an dieser Stelle verletzt.
125 Stellen gelten als gefährlich
125 Stellen im Stadtgebiet hat Wondorf im seinem Rechner. Neben dem Fähnchen in der Steckkarte hat er dort auch Fotos der Kreuzungen gespeichert, aus allen Blickwinkeln. Denn manchmal, sagt Lückemeyer, „steht einfach nur ein Baum oder eine Hecke im Weg und versperrt die Sicht.“
An der gefährlichsten Kreuzung der Stadt ist das leider nicht so einfach. An der Kreuzungen Altendorfer-/Helenen-/Oberdorfstraße halten Straßenbahnen an vier Bahnsteigen mitten auf den Straßen. Bis zu 5000 Menschen pro Tag laufen hier über rote Ampeln, um ihre Anschlussbahn zu kriegen, pünktlich zur Schule zu kommen oder den Weg abzukürzen.
Straßen werden umgebaut
Auch dieses Jahr hat Wondorf deshalb wieder zwei Fähnchen für schwer verletzte Fußgänger in den Plan der Kreuzung gesetzt. Nicht zuletzt auf Dringen der Unfallkommission hat der Rat diese Woche beschlossen, die Altendorfer Straße für 1,6 Millionen Euro umzubauen. Aus Sicht der Unfallkommission ein Kompromiss. „Wirklich sicher wäre es, die Straßenbahn in einen Tunnel zu legen“, sagt Lückemeyer. „Aber wir sind ja keine Fantasten. Wir wissen, dass die Stadt dafür nun mal kein Geld hat.“
Die Kunst des Machbaren ist deshalb das Geschäft von Udo Drygalla. Der Mann vom Amt für Verkehrsmanagement ist Geschäftsführer der Unfallkommission und organisiert die Suche nach Lösungen für Unfallhäufungspunkte. Dabei macht er sich nicht nur Freunde. Derzeit steht die Kommission unter Feuer für die umstrittenste Sperrung der Stadt im Südviertel.
Gefährliche Kreuzung gesperrt
Immer wieder hat es auf der Kronprinzenstraße Unfälle mit Linksabbiegern in die Helbingstraße gegeben. Auf der Kronprinzenstraße kollidierten sie mit Autos aus dem Gegenverkehr, auf der Helbingstraße mit Rechtsabbiegern Richtung Hauptbahnhof. Im August ließ die Unfallkommission den Linksabbieger sperren. Hei, gab das Alarm: Anwohner liefen gegen die Sperrung ebenso Sturm wie die Mitarbeiter der dort ansässigen Verwaltungen.
„Schauen wir mal“, sagt Lückemeyer mit leisem Triumph und lässt das aktuelle Lagebild an die Wand werfen. „Nur noch ein Unfall nach der Sperrung.“ „Und dieser Autofahrer“, sagt Wondorf, „ist verboten abgebogen.“ Die Sperrung wird also bleiben. Irgendwann wird Drygalla um die Akte ein grünes Band binden: Problem dauerhaft gelöst. 33 solcher Akten hat er im Schrank stehen. Ein gutes Gefühl, sagt Drygalla.
Manche muss er aber doch wieder aus dem Schrank holen: „Jahrelang war Ruhe an der Kreuzung Kattzenbruch-/Karolingerstraße. Jetzt haben wir da plötzlich wieder Unfälle.“ Warum? „Keine Ahnung.“ Genau andersrun läuft des derzeit an der Frillendorfer Auffahrt zur A 40. Seitdem die Brücke an der Schönscheidt-straße abgerissen ist, gehen die Unfallzahlen gegen Null.