Essen..
Jörg Kohlscheen räumt gern mit Mythen auf: wie dem angeblichen Einfluss des Polnischen auf die Sprache im Ruhrgebiet. An der Ruhr-Uni Bochum schreibt Kohlscheen seine Promotion. Das Thema ist: „Sprache in Essen“.
Persönlich mag Jörg Kohlscheen die Wörter am liebsten, die aus dem Jiddischen kommen: „Tacheles“ etwa, oder „Mischpoke“. Dienstlich untersucht der 31-Jährige am Germanistischen Institut der Ruhr-Universität Bochum die Sprache des Ruhrgebiets. Für seine Promotion hat sich Kohlscheen eine Stadt explizit ausgeguckt: Essen. Warum? „Über Essen gibt es gute Daten“, sagt der Sprachforscher nüchtern. Das Amt für Statistik der Stadt leiste gute Arbeit. Außerdem sei Essen „so hübsch heterogen - mit dem Norden und dem Süden“, meint der gebürtige Gelsenkirchener.
15 Minuten für den Fragebogen
Kohlscheen hat einen Fragebogen entworfen, der über das Internet abzurufen und auszufüllen ist. Bislang haben ihn rund 150 Menschen ausgefüllt. Auf bis zu 1000 - „quantitativ eine Menge Holz“ - hofft der 31-Jährige. Den Einsendeschluss hat er deshalb verschoben. Noch bis Ende des Jahres können Interessenten mitmachen. Circa 15 Minuten nimmt das Beantworten der 20 Fragen in Anspruch, handgestoppt, sagt Kohlscheen.
Der Mythos des polnischen Einflusses
Um erste Rückschlüsse zu veröffentlichen, dafür ist es zu diesem Zeitpunkt der Studie noch zu früh. Einige Gemeinsamkeiten zwischen allen, die Ruhrgebiets-Deutsch sprechen, hat Kohlscheen allerdings schon feststellen können: „Wir glauben, lupenreines Hochdeutsch zu sprechen, bis wir in eine andere Region fahren und auf den Kopf zugesagt bekommen, dass wir aus dem Ruhrgebiet kommen.“ Mit einem Vorurteil will Kohlscheen dagegen aufräumen: dass die Sprache hier vom Polnischen geprägt ist. „Das ist nicht so. Ein Mythos. Es gibt keine Spuren des Polnischen. Das einzige Wort, das den Menschen in diesem Fall einfällt, ist ,Mottek’.“ Vielmehr geprägt sei die Sprache im Ruhrgebiet von den alten Dialekten des Westfälischen und des Niederfränkischen. Noch eine Besonderheit: Im hiesigen Sprachraum lasse sich wunderbar „mit der Sprache jonglieren“. Ob Birne, Omme, Kopp oder Schädel - die Ausdrücke für ein und denselben Gegenstand sind vielfältig.
Stadt als „undankbarer Forschungsgegenstand“
Kohlscheen geht es in seinen Untersuchungen „um Einstellungen und Vorurteile, die die Menschen zur Sprache haben. Nicht, wie die Menschen sprechen, sondern was sie über ihre Sprache denken.“ Ein seinen Angaben nach bislang noch relativ unbeschriebenes Blatt. „Es gibt bislang wenig dialektologische Untersuchungen im Ruhrgebiet.“ Weil die Forschungsgelder dafür nicht da sind, auch weil solche Studien in der Stadt sehr komplex sind. Städte seien nunmal ein „undankbarer Forschungsgegenstand“. Kohlscheens Projekt wird als Stipendium über die Hans-Böckler-Stiftung im Rahmen eines „Heißbegabten“-Programms gefördert. In etwa einem Jahr will Kohlscheen seine Promotion vorliegen haben. Dann ist klipp und klar, wie die Sprache im Ruhrgebiet und in Essen beschaffen ist. Und wie ihre Sprecher zu ihr stehen.