In manchen Stadtteilen gibt es Geschäfte, in denen man mit Deutsch nicht weit kommt. Die Polizei klagt über gewaltbereite Libanesen im Nordviertel. Und Lehrer seufzen: Migranten-Eltern verweigern häufig die Zusammenarbeit.
Trotzdem sagt Haci-Halil Uslucan (45), neuer Leiter des „Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung“: „Parallelgesellschaften gibt es nicht.“ Macht er es sich da nicht ein bisschen einfach?
Uslucan ist seit August im Amt. Er ist Nachfolger von Faruk Sen, der 2008 mit viel Getöse das Zentrum verlassen musste, nachdem er die Türken als „die neuen Juden Europas“ bezeichnet hatte.
Das Zentrum sitzt in einer repräsentativen, restaurierten Krupp-Halle an der Altendorfer Straße. Es soll jetzt stärker wissenschaftlich ausgerichtet werden; sein Titel wurde um die „Integrationsforschung“ ergänzt. Uslucan hat gleichzeitig eine Professur für „Moderne Türkeistudien“ an der hiesigen Uni inne.
„Straßenzüge, in denen sich Ethnien versammeln, sind noch keine eigenen Welten“, sagt Uslucan. „Türken und andere Migranten haben weder ihre eigenen Gerichte noch eine eigene Polizei installiert.“ Erst dann könne man von Parallelwelten sprechen.
Uslucan findet hingegen, dass das Zusammenleben von Deutschen und Migranten „viel besser ist, als es die Sarazzin-Debatte vermuten ließ“. Fakten hätten in der erhitzten Diskussion keine Chancen gehabt: „Viele Türken wünschen sich zum Beispiel mehr Kontakt zu Deutschen. Studien haben das bewiesen.“ Sicher ist aber auch: Viele Bürger haben Erfahrungen mit dem Gegenteil gemacht. Doch Uslucan möchte stets die Gemeinsamkeiten von Migranten und Einheimischen betonen, nicht die Unterschiede – Beispiele hat er stets parat, auch Fakten gegen Vorurteile. So sei es belegt, dass die allergrößte Mehrheit der Türken nicht nur türkisches Fernsehen schaue, wie häufig behauptet wird. „Sie sehen genauso deutsche Programme.“ Und dass jemand den Tag ausschließlich vor dem Fernseher verbringe und Sozialleistungen beziehe, sei beileibe kein Migranten-Phänomen: „Da gibt es genug Deutsche unter den Couch-Potatoes.“
Psychologe Uslucan, der sich zuletzt viel mit empirischen Studien beschäftigt und im Berliner Lokalteil der FAZ eine Migrations-Kolumne verfasst hat, möchte das „Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung“ stärker „an den Lebenswelten von Migranten und Deutschen ausrichten“, sagt er. Mehr Erziehungs-Seminare für Eltern, weniger politische Theorie. Auch Anti-Gewalt-Trainings für Väter möchte er einrichten. Gewalt – ein Problem in Migrantenfamilien? Uslucan kontert: „Gewalt ist ein gesellschaftliches Problem. Bei Migranten und bei Einheimischen.“ Doch viele Bürger, besonders solche in schwierigen Stadtteilen, fühlen sich bedroht. Kann man so etwas wegreden?
Uslucan glaubt an die Kraft der Fakten: Wo sich eine Ethnie in ganzen Bezirken niederlässt, „dann hat das nichts mit einem Bedrohungs-Szenario zu tun. Da hat niemand gesagt, kommt, wir rotten uns jetzt zusammen.“ Sondern das habe schlicht wirtschaftliche Gründe: Migranten seien häufig ärmer als Einheimische. Also zögen sie dahin, wo die Mieten billig sind. Und was die Geschäfte angeht, in denen niemand Deutsch versteht: „Versuchen Sie mal, in Florida einen Gebrauchtwagen zu kaufen. Da kommen Sie häufig nur mit Spanisch weiter, nicht mit Englisch.“
Der Mensch, hat Uslucan wiederholt gesagt, sei keine Marionette seiner Kultur. Ehrenmorde? Einzelfälle. Wertvorstellungen seien häufig identisch. „Denn den einen typischen Migranten“, sagt Uslucan, „gibt es sowieso nicht.“ Stimmt. Das macht die Diskussion ja so schwierig.