Essen..
Damit die Wälder stabiler und artenreicher werden, soll alter Bestand abgeholzt werden. Auch Naturschützer befürworten die Aktion. Die Stadt fürchtet dennoch Proteste und will die Bürger informieren.
Wenn sich im Herbst die Blätter verfärben und die Bäume ihr schönstes Gewand tragen, zieht es viele Essener zum Spaziergang in die heimischen Wälder. So soll es sein. Denn nach dem städtischen Leitbild sind die Wälder ein „naturnaher Erholungsraum“ für die Bürger. Dass bald aber nicht nur die ersten Blätter, sondern auch die ersten Bäume in den Essener Wäldern fallen, dürfte so manchem Naturfreund erst einmal die Zornesröte ins Gesicht treiben.
„Ich kann es sehr gut nachvollziehen, dass die Leute entsetzt sind, wenn sie sehen, wie wir die Bäume an ihren Lieblingswegen fällen“, sagt Norbert Bösken, städtischer Förster im Revier Südost. Für Laien sei es schwer zu verstehen, dass manche Bäume abgeschlagen werden müssten, damit der Wald als Ganzes schöner, stabiler und artenreicher werde.
Acht Ortstermine
1754 Hektar, also rund 16 Prozent des gesamten Essener Stadtgebiets, sind bewaldet; die Hälfte liegt in kommunaler Hand, den Rest teilen sich Privateigentümer und der Regionalverband Ruhr. „Im Vergleich zu anderen Großstädten ist Essen eine relativ grüne Stadt“, ordnet Bösken ein.
Damit sie das auch bleibe, müssten neue Bäume nachwachsen – vor allem einheimische Arten wie Ahorn, Esche und Kirsche. Deren Wachstum wird aber häufig durch dichte Kronen, die kaum Licht durchlassen, behindert: „Deswegen wollen wir mit Durchlichtungen das Nebeneinander von alten und jungen Bäumen fördern.“
Das heißt nicht, dass jeder alte oder tote Baum automatisch den Sägen zum Opfer fällt. „Tod- und Altholz sind für viele gefährdete Waldbewohner wichtige Lebensräume, zum Beispiel für Spechtarten“, erklärt der Förster. Vor der Fällung werde deswegen jeder Baum genau auf seine Funktion im ökologischen Gesamtsystem Wald überprüft.
„Keine Nutzungsart genießt so viel Schutz wie der Forst“
Neben der Artenvielfalt, ist die Stabilität der Bäume der zweite wichtige Grund für den erhöhten Holzeinschlag. Bösken: „Früher haben wir nicht so sehr darauf geachtet, dass der einzelne Baum stabil ist, sondern eher darauf, dass die Bäume sich bei Sturm gegenseitig Halt geben.“ Fiel dann aber ein Baum, riss er viele andere mit – wie der erste Stein beim Domino. „Indem wir Bäume fällen und die Kronen lichten, verleihen wir dem einzelnen Baum mehr Standkraft.“ In Zeiten des Klimawandels mit immer häufigeren und immer stärkeren Stürmen sei das immens wichtig, „damit die Essener Wälder nach Orkanen nicht wie Mondlandschaften aussehen.“
Und was sagen die Naturschützer zu den geplanten Fällungen? Jobst Hoffmann, Naturschutzwart beim Essener Naturschutzbund (NABU), hat in den letzten Tagen einige Anrufe von besorgten Bürgern erhalten. „Ich habe ihnen erklärt, dass ich als Naturschützer den Maßnahmen der Stadt positiv gegenüber stehe, weil sie gut für Flora und Fauna sind.“ Die Kooperation zwischen Stadt und NABU sei eng und „keine Nutzungsart genießt so viel Schutz wie der Forst.“ Trotzdem wolle er nicht in der Haut der Forstarbeiter stecken, „wenn sie ihre Sägen anschmeißen.“
Dass es kein schöner Anblick sei, wenn die Forstarbeiter mit ihren Maschinen anrücken und die Fällarbeiten beginnen, gibt auch Bösken zu. „Die Forstpflege ist eben ein langwieriger und nachhaltiger Prozess.“ Die Effekte würden die Essener Bürger erst in ein paar Jahren sehen. Wenn sie im Herbst durch die Wälder spazieren und die neuen Bäume ihr schönstes Gewand tragen.