Essen. .

Pausenlos klingelten die Telefone, zahlreiche Menschen klagten ihr Leid und suchten Rat bei der WAZ-Telefonaktion zum Thema „Depressionen“. „Depressionen sind eine Volkskrankheit und auf dem Vormarsch“, erklärt Psychiater Dr. Rainer Scheel die große Resonanz. Neben ihm hatten Amtsarzt Dr. Rainer Kundt, Dr. Martin Schäfer (Kliniken Essen-Mitte) und Jane Splett-Bambynek (Essener Bündnis gegen Depressionen) ein offenes Ohr am kurzen Draht.

Allein im Stadtgebiet gibt es rund 30 000 Menschen die unter Depressionen leiden, betroffen sind alle Altersgruppen und die Dunkelziffer ist hoch. Ein großes Problem ist, dass diese häufigste psychische Erkrankung in der Gesellschaft stigmatisiert ist: Es gilt zu funktionieren und belastbar zu sein. So meint auch eine 81-jährige Frau: „Meine Depressionen steigern sich, aber ich schäme mich dafür. In meinem Alter müsste ich doch gelernt haben, mit dem Leben umzugehen.“ Dr. Kundt erklärt, dass Depressionen im Alter sehr häufig seien und man dagegen angehen könne.

Depressionen sind eine Reaktion des Körpers auf Überbelastung durch Familie, Beruf, Kränkung oder Verletzung. Eine Auszeit ist erforderlich, und das signalisiert der Körper durch Antriebs-, Lust-, Appetit- und Konzentrationslosigkeit, sozialen Rückzug, aber auch durch körperliche Beschwerden wie Übelkeit, Rücken-, Magen- oder Kopfschmerzen. „Doch wie soll die Auszeit aussehen?“, fragt eine Frau. „Lassen Sie ich krank schreiben“, rät Jane Splett Bambynek. „Denken Sie nur an sich, vergessen Sie all’ ihre Verpflichtungen.“ Außerdem sei psychologische Betreuung wichtig. Ein Mann erzählt, dass ihm immerzu die Angst im Magen sitzt. „Ich hab mich total zurückgezogen, ernähre mich von Schlafmitteln und war seit acht Jahren nicht mehr draußen.“ Rainer Scheel stellt fest: „Sie müssen dringend etwas tun! Melden Sie sich beim Gesundheitsamt, damit Sie Hilfe bekommen.“

„Die Tabletten helfen nicht“

Die Behandlung von Depressionen erfolgt medikamentös und durch Gesprächstherapien. „Durch drei Todesfälle leide ich seit neun Jahren unter Depressionen“, klagt eine Frau. „Aber die Tabletten helfen nicht.“ Kundt erklärt, dass man sich immer „rantasten“ müsse. „Zudem wirken die Medikamente erst nach längerer Zeit.“ Schlafstörungen plagen eine Anruferin seit zehn Monaten. „Trotz der Einnahme von Antidepressiva und homöopathischen Hilfsmitteln verspüre ich keine Besserung.“ Martin Schäfer rät zur Unterstützung durch einen Psychotherapeuten.

„Ich weiß nicht mehr weiter“, gesteht eine Anruferin. „An wen kann ich mich wenden?“ Schäfer erklärt, dass in solch einer Akut-Situation eine schnelle ambulante Betreuung in einer psychiatrischen Einrichtung wichtig sei, denn die Wartezeit für eine Therapie könne über sechs Monate betragen. „Wie finde ich einen guten Arzt“, fragt eine Frau. „Wenden Sie sich an eine Krankenkasse. Dort kann man Sie informieren“, antwortet Splett-Bambynek.

Ein 56-Jähriger klagt über anhaltende Unruhe und Nervosität. Hinzu kämen Müdigkeit und Stimmungsschwankungen. „Das hatte ich früher auch schon, nach Therapien hatte ich aber ein paar Jahre Ruhe.“ Martin Schäfer: „Sie brauchen jetzt einen Therapeuten und medikamentöse Behandlung, denn Ihre Symptome können sich steigern.“

„Mein Bruder ist depressiv, ich komme überhaupt nicht an ihn ran.“

Bei Menschen, die berufsbedingt unter Depressionen leiden, spricht man von Burn-out-Syndrom oder Managerkrankheit. So ist eine Anruferin seit zwei Monaten mit dieser Diagnose krank geschrieben. „Ich bin zudem alleinerziehend, muss mich um die Kinder kümmern“, sagt sie. „Es besteht die Möglichkeit einer halbtägigen Behandlung in einer Tagesklinik, während die Kinder zur Schule gehen“, empfiehlt Schäfer.

„Mein Bruder ist depressiv, ich komme überhaupt nicht an ihn ran. Was kann ich tun?“, fragt der Anrufer. Martin Schäfer rät, Kontakt mit einer Angehörigengruppe aufzunehmen. Grundsätzlich sei es richtig, immer wieder Unterstützung anzubieten und das Gespräch zu suchen, der Bruder müsse seine Krankheit akzeptieren. Sollte sogar Suizid-Gefahr bestehen, müsse er ihn notfalls zu einer Behandlung zwingen, sagt der Arzt.