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Für 2,1 Millionen Euro modernisiert die Evag Stellwerke und Relaistechnik - die „Blaue Bar“ wird deshalb nie eröffnen.

Warum zum Teufel nur riecht es hier nach Lutschbonbons? Vielleicht deshalb: Als sich die schwere Tür öffnet, raubt es einem für einen Moment den Atem. Die Szenerie weckt Bilder im Kopf. So ähnlich muss es aussehen in der verlassenen Zentrale von Tschernobyl, dem im April 1986 „havarierten“ Atomkraft in der Ukraine. Das dumpfe blaue Licht, das durch die Fenster scheint, verstärkt den gespenstischen Eindruck noch.

24.000 Mal pro Tag

Wir sind im Stellwerk der Essener Verkehrs-AG im U-Bahnhof unter dem Hauptbahnhof - „dem größten Nahverkehrsstellwerk in Deutschland“, sagt Ulrich Aschmann, und es klingt, als sei er ein bisschen stolz darauf. „In dem Raum hat es früher richtig gebrummt“, erzählt Aschmann, der bei der Evag für die Zugsicherungstechnik zuständig ist. Heute wirkt das Stellwerk, als hätten die Mitarbeiter es Hals über Kopf verlassen. Die Monitore sind schwarz, nur die kleinen Lämpchen, die auf dem riesigen Steuerpult mal hier mal dort aufleuchten, zeigen an - die Technik ist nach wie vor in Betrieb.

Bis zu 9000 Mal pro Tag werden hier Weichen für Stadt- und Straßenbahnen gestellt, bis zu 24.000 „Fahrstrecken“ freigegeben - seit den späten 90er Jahren ferngesteuert aus der Evag-Leitstelle an der Schweriner Straße. Nur wenn es dort technische Probleme gibt, kommt ein Stellwerker der Evag vorbei, um das Steuerpult per Hand zu bedienen, was selten der Fall sei.

33 Jahre liegt es zurück, dass die Evag das unterirdische Stellwerk am Hauptbahnhof - eines von stadtweit vier im Nahverkehrsnetz - in Betrieb nahm. Der Charme der späten 70er Jahre haftet dem Raum bis heute an. Vielleicht kamen sie in der für Öffentlichkeitsarbeit zuständigen Evag-Abteilung vor einiger Zeit auf die Idee, aus dem Stellwerk eine Lounge zu machen, eine „Blaue Bar“ als Farbtupfer fürs Essener Nachtleben. Für ein Nahverkehrsunternehmen klingt dieser Plan verwegen, die Idee aber war nicht etwa aus einer Bierlaune heraus geboren, sondern durchaus ernst gemeint.

Die „Blaue Bar“ wird nie eröffnen, das Stellwerk, und mag es antiquiert wirken, wird noch gebraucht. Die Evag hat sich entschlossen, in die bewährte Technik zu investieren, statt etwa 30 Millionen in modernste, Computer gesteuerte Anlagen zu stecken wie sie zum Beispiel in Nürnberg am Netz sind. Die dortigen Verkehrsbetriebe sind auch dadurch zum Beispiel in der Lage, U-Bahnen ohne Fahrer zu steuern. Für die Evag ist das Zukunftsmusik. So viel Geld ist nicht da im Unternehmen, das angesichts sinkender Zuschüsse längst einen Sparkurs fährt. Für 2,1 Millionen Euro sollen stattdessen Stellwerke und Relaisschaltungen „ertüchtigt“ werden.

Der unterirdische Relaisraum liegt eine Bahnsteiglänge entfernt vom Stellwerk und hat die Größe einer Schalterhalle. Der Raum ist vollgepackt mit Schaltkästen. Hier schlägt das Herz des Evag-Netzes. Löst einer der vielen tausend elektromagnetisch gesteuerten Schalter aus, macht es „klack“. Es klackt und klackt in einem durch. 15 Jahre soll es so weitergehen und klingen wie ein leckgeschlagener Süßigkeiten-Automat, aus dem ohne Unterlass bunte Kaugummikugeln auf den Fußboden fallen. Oder Lutschbonbons. Ganz nach Geschmack.