Essen. .
In der Spardebatte muss es der Stadt nun gelingen, die Substanz der Kulturstadt zu erhalten. Wo andere nur protestieren, wird die 650 Mitarbeiter starke Theater- und Philharmonie GmbH (TuP) ein paar Register mehr ziehen, um sich dem Sparzwang zu entziehen.
Theater machen ist ihr Beruf, und die Stadt wird diese Fähigkeit demnächst wohl auch im übertragenen Sinn zu spüren bekommen. Wo andere Betroffene nur protestieren, wird die 650 Mitarbeiter starke Theater- und Philharmonie GmbH (TuP) ein paar Register mehr ziehen, um sich dem Sparzwang zu entziehen. Es wird dann interessant sein zu sehen, wer in Politik und Verwaltung Rückgrat hat und wer eher nicht. Die Angst vor der mächtigen Essener Kultur-Lobby und den selbstbewusst auftretenden Kultur-Granden ist traditionell groß. Bevor Mutter Stadt in der Vergangenheit Konsequenzen zog, mussten die Dinge wie im Fall des früheren Philharmonie-Intendanten Kaufmann schon völlig aus dem Ruder laufen.
Theatralik ist Trumpf
Zahlen und Klappe halten – so hat die TuP ihren Hauptgeldgeber, die öffentliche Hand und ihre Repräsentanten, am liebsten. Und ja, zugegeben: Was mit diesem Geld geschah, kann sich nicht nur sehen lassen, es hatte und hat Weltklasse. Essen wollte sich mit den Mitteln der Kultur neu erfinden und genau das wurde geschafft. Mit der Fülle beeindruckender Kultur-Bauten, den hervorragenden Ensembles und der Qualität der leitenden Akteure könnte sich jede prosperierende Millionen-Stadt sehen lassen. Unglücklicherweise ist Essen aber weder das eine noch das andere. Die Stadt ist arm, sie schrumpft, ihr droht Überschuldung und damit die Handlungsunfähigkeit. Das ist Fakt und nicht wegzudiskutieren.
Worum geht es nun? Um nichts weniger als hart zu sparen und dennoch die Substanz der Kulturstadt Essen zu erhalten, ein Gütesiegel, das auch wirtschaftlich und als imageprägendes Instrument von zentraler Bedeutung geworden ist. Beides gleichzeitig funktioniert nicht, heißt es reflexhaft aus den Reihen des Kulturbetriebs, wo mancher agiert, als befände er sich selbst dann auf einer Bühne, wenn er nur pragmatisch den finanziellen Fakten Rechnung tragen soll. Immerzu geht es hier verbal um alles oder nichts, stets droht theatralisch der Untergang des Abendlandes. Christian Tombeil, der designierte Sprechtheater-Intendant, fühlt sich nach eigenem Bekunden bei den Essener Diskussionen wegen des angeblichen Auseinanderdividierens von Kultur und Sozialem gar an die Endphase der Weimarer Republik erinnert.
Geht’s noch? Das ist nicht nur historischer Unfug, es zeigt auch, dass Tombeil sich nicht mal die Mühe gemacht hat, die Debatte zu analysieren. Wenn die Diskussion eines auszeichnet, dann gerade, dass das unterstellte Zerfleischen, das Fingerzeigen von einem zum anderen bisher ausblieb. Vielmehr scheint im Prinzip verstanden worden zu sein, dass alle gleichermaßen mithelfen müssen, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Und alle meint eben wirklich: alle.
Die TuP als Teil der Stadt
Die TuP fühlt sich vom Kämmerer übervorteilt und im Übermaß dem Sparzwang unterworfen. Nun, das wird sich klären lassen. Sie ist jedenfalls kein Staat im Staate, sondern Teil der Essener Stadtgesellschaft. Von ihr ist dieselbe Solidarität zu erwarten wie von anderen auch - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Dass man solche Selbstverständlichkeiten betonen muss, ist erstaunlich. Mancher glaubt, die auffallende Selbstbezogenheit des Kulturbetriebs sei nicht zuletzt Folge einer jahrzehntelangen, weitgehend kritiklosen medialen Verhätschelung, die den Blick für die Realitäten nicht gerade geschärft hat. Da könnte schon was dran sein.
Aus der kulturbeflissenen Essener Wirtschaft kommt die Forderung, lieber die Stadtverwaltung nach unwichtigen Aufgaben zu durchforsten und über das ohnehin Geplante hinaus zu verkleinern. Dreimal Applaus, denn diese Arbeit ist noch längst nicht ausreichend getan, weil auch hier die Angst vor Interessengruppen alles überlagert. Gleichermaßen wird man aber die TuP fragen dürfen, ob Verwaltung und Backstage-Aufwand tatsächlich schon so schlank sind wie sie sein könnten. Die künstlerischen Akteure im engeren Sinn, die jetzt nach vorne geschoben werden, sind ja eine Minderheit. Müssen es wirklich, um ein konkretes Beispiel zu nennen, so viele Mitarbeiter für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sein? Ist nicht wenigstens ein sozialverträgliches Abschmelzen möglich statt die Reihen wie erst jüngst geschehen aufzufüllen als wenn nichts wäre? Der Sparzwang kam ja keineswegs „wie aus dem Nichts“, um einen aktuellen Versuch der Legendenbildung aus dem TuP-Umfeld aufzugreifen.
Mehr Mäzenatentum
Was wirklich nötig ist und was nicht, darüber muss sich die Stadtgesellschaft völlig neu verständigen. Richtig angegangen, muss das nicht zwangsläufig mit großen Qualitätsverlusten einhergehen. Zu wünschen wäre in jedem Fall, das in Essen bisher schon erfreulich hohe Maß an Sponsoring und Mäzenatentum weiter zu steigern. Gefragt ist der Typus Stadtpatriot. Wann, wenn nicht jetzt?