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Kein lebender Virus will er sein, möchte aufklären, kämpfen, leben: Marcel Dams bloggt im Netz über sein Leben mit HIV. Verharmlosen will er nichts, nur zeigen, dass es weiter geht, das Leben immer noch schön ist, lebenswert.

„Ich bin mehr als ein lebender Virus.“ Er passt nicht so recht, dieser kämpferisch trotzige Ton in der sanften Stimme, doch die Worte müssen raus, wie so viele. Er will sich nicht verstecken; im Gegenteil. Bei Marcel Dams ist das Private öffentlich, das eigene Tagebuch kein verschlüsseltes Geheimnis, der Essener bloggt im Netz: Leben in Serie. Da schreibt er über sich und die Krankheit, den Alltag mit der Krankheit, die Diskriminierung wegen der Krankheit und die Normalität — trotz HIV.

Es ist eine Gratwanderung, Eintrag für Eintrag. Aufklärung sei wichtig, junge Menschen vor dem einen schweren Fehler zu bewahren, der ihn die Gesundheit gekostet hat, dieser eine „Risikokontakt“, ungeschützter Sex mit einem Infizierten: „Ich wollte gefallen, träumte von einer Beziehung, hatte Angst auf das Kondom zu bestehen. Da war ich eben naiv, dachte, der Typ mag mich, der will mir bestimmt keinen Schaden zufügen.“ Ein Irrtum mit Folgen. Doch er will die Krankheit nicht dramatisieren, Angst führt zu Ausgrenzung, aber Verharmlosung vielleicht zu Leichtsinn: „HIV zu haben ist schrecklich, ein Todesurteil ist es in Mitteleuropa nicht mehr“, sagt der junge Essener bestimmt. „Ich sehe mich nicht als Sterbenden, ich bin ein chronisch Kranker. Wenn die Menschen nicht solch eine panische Angst vor der Krankheit hätten, würden sie sich vielleicht testen lassen und nicht andere anstecken.“ Er gibt da auch mancher Anti-Aids-Kampagne die Schuld, blinde Panikmache schüre Vorurteile, mache Infizierte zu Aussätzigen.

„An die Krankheit denke ich jeden Tag“

Marcel ist 20 Jahre alt, ein jungenhafter Typ, potentieller Mädchenschwarm. HIV habe ihn erwachsen werden lassen, sagt er, auch wenn positiv zu sein sonst nicht viel Positives hat. „Äußerlichkeiten sind mir nicht mehr so wichtig, ich will nicht mehr gefallen, bin mit mir selbst im Reinen, ja eigentlich glücklich“, sagt Dams, der im Internet gern den „Vorstadtclown“ gibt. Und doch: „An die Krankheit denke ich jeden Tag.“

Ein halbes Jahr ist sie nun her, die erschreckend positive Diagnose. Er habe das alles erstmal verarbeiten müssen, Zeit zum Nachdenken gebraucht. „Dann habe ich mit meinem Blog begonnen. Das war wie eine Therapie, ich habe mir alles von der Seele geschrieben.“ Doch längst ist die Krankheit nur mehr ein Thema von vielen. Manchmal ist die Karnevalsverkleidung wichtiger — ob Arzt wohl das Richtige Kostüm ist? — und dann natürlich dieser Junge, der hat es ihm angetan. Wenn das nicht so schwierig wäre mit der Liebe und HIV: „Ich mache mir richtig Gedanken, was ich ihm als erstes sagen soll. Entweder erzähle ich ihm zu allererst, was mit mir ist, also dass ich nicht gesund bin oder was ich für ihn fühle?“, schreibt er in seinem Blog. Doch da weiß auch die Community, seine Leserschaft, keinen Rat.

Viel positive Resonanz, aber auch Beschimpfungen

Das Interesse an seinem Blog sei groß, die Leser meist nicht infiziert, aber interessiert. „Ich bekomme viel positive Resonanz, aber na ja, Beschimpfungen gehören natürlich auch dazu.“ Das reiche dann von „Selber Schuld!“ bis zu „Strafe Gottes“: „Ich versuche mir das nicht so zu Herzen zu nehmen. HIV, da ist für viele die Schuldfrage klar. Bekommen die eben die Quittung für Drogen oder ungeschützten Sex. “ Marcel Dams schüttelt den Kopf. „Ich meine, ich werfe doch auch keinem Krebskranken das Rauchen oder die Sonnenbank vor. Ja klar, ich habe einen Fehler gemacht, aber andere auch und die sind gesund.“

Doch die Krankheit verschweigen, das stand für Marcel Dams von Anfang an außer Frage. Familie und Freunde wissen Bescheid, der Arbeitgeber auch. Unterstützung, die hilft, aufbaut. Auch dann, wenn einen der langjährige Zahnarzt aus der Praxis komplimentiert, bloß weil man ehrlich war, wenn die erste Verliebtheit sich in ein gebrochenes Herz verwandelt, die Krankheit zum Makel wird. „Ich versuche HIV als Eigenschaft zu akzeptieren, als Teil von mir. Doch ich bin mehr als ein lebender Virus.“

Über sein Leben mit der Krankheit schreibt Marcel Dams im Online-Blog unter http://marceldams.blog.de/.