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Zwei Zauberworte haben in Essen und in der gesamten Region schwer Konjunktur: Kultur und Kreativwirtschaft. Doch schafft Kultur wirklich ökonomische Substanz? Ein Gespräch mit dem Wirtschaftsweisen und RWI-Präsidenten Prof. Christoph M. Schmidt.

Eine Branche ist zu einem Hoffnungsträger geworden, und die Kulturhauptstadt dient dabei zusätzlich als mediale Wortmaschine, die unablässig neue Erwartungen in die Welt setzt. Doch handelt es sich wirklich um eine ökonomisch zukunftsträchtige Strategie, um an wirtschaftlich prosperierende Zeiten anzuknüpfen? Oder geht es mehr um Selbstillusion, gestützt in erster Linie durch das Anzapfen diverser öffentlicher Fördertöpfe? Schafft Kultur wirklich ökonomische Substanz?

Herr Schmidt, das Ruhrgebiet und vor allem Essen versuchen sich durch Kultur und Kreativwirtschaft quasi neu zu erfinden. Verspricht diese Strategie Erfolg?

Christoph M. Schmidt: Das ist der Punkt, an dem sich die Geister scheiden. Ist es jetzt so, dass man erst wirtschaftlich prosperiert und dann wollen Leute Kunst und Kultur genießen? Oder ist es andersherum? Kann man einer Region Kunst und Kultur künstlich injizieren, und dann kommen die ganzen langweiligen Wirtschaftsleute hinterher, schaffen die Arbeitsplätze und Wachstum im materiellen Sinne.

Und was glauben Sie?

Christoph M. Schmidt: Ich halte die Schrittmacherfähigkeit der Kultur für sehr weit hergeholt. Das funktioniert meiner Ansicht nach so nicht, auch wenn uns das mancher so verkaufen will, der vielleicht Opfer seiner eigenen Euphorie wird.

Sie haben jüngst auch die „Kreativwirtschaft“ kritisch hinterfragt. Das ist ein Stichwort, das man gefühlt seit Jahrzehnten hört, etwa wenn es um die Entwicklung von Zollverein geht.

Christoph M. Schmidt: Das Gefühl, das sie beschreiben, kommt auch daher, dass man mit anderen Worten immer wieder ähnliche Ziele formuliert. Man will uns verkaufen, dass diese Phänomene wirtschaftliche Motoren sind. Ich erinnere auch an den Medien-Hype. Entscheidend ist aber: Irgendwann muss sich das selbst tragen. Das zeichnet sich derzeit bei der Kreativwirtschaft aber nicht ab, wobei das Kulturhauptstadtjahr da vielleicht Auftrieb geben könnte. Es muss allerdings eine Ausstiegsstrategie geben, wenn es nach ein paar Jahren nicht von selbst funktioniert. Da kann man nicht sagen, na gut, dann warten wir auf den nächsten öffentlichen Förderbescheid und machen es noch mal zehn Jahre.

Täuscht der Eindruck oder ist der Design- und Kreativstandort Zollverein nur insoweit eine Job-Maschine, als dass es sich weit mehrheitlich um öffentlich geförderte, also subventionierte Arbeitsplätze handelt?

Christoph M. Schmidt: Allgemein gilt: Die Bildung so genannter Cluster, also Firmen der gleichen Branche an einem Standort zu konzentrieren, ist nur schwer künstlich herbeizuführen. Das Vorbild für solche Projekte ist das Silicon Valley in Kalifornien. Nur: Jeder politische Versuch, so etwas nachzustellen, krankt daran, dass es gelingen kann, aber noch lange nicht muss. Der Umstand, dass ein Cluster nicht alleine entstanden ist, sagt ja auch schon etwas aus. Das ist ein Risikospiel. Wenn sich die Akteure zusammen tun wollten, hätten sie es ja tun können. Erfahrungsgemäß muss einer die Führung übernehmen, ein Moderator etwa, der sich wirklich reinhängt. Die Politik kann das eigentlich nicht schaffen, sie kann nur einen Rahmen setzen.

Wann sollte man die Reißleine ziehen?

Christoph M. Schmidt: Irgendwann muss es jedenfalls auch für Branchen der Kreativwirtschaft einen Markttest geben.

Das Geld für solche Förderungen stammt ja aus öffentlichen Haushalten. Gibt es etwas, das vielleicht stattdessen zu kurz kommt?

Christoph M. Schmidt: Wir haben im Ruhrgebiet das Problem, dass die städtischen Etats stark im Minus sind. Und wir haben immer noch eine hohe Arbeitslosigkeit, weshalb wir viel mehr in Wissen investieren müssen. Die guten Universitäten existieren teilweise schon, das ist nicht das Thema. Mein Punkt ist nur, wo soll die Politik mit ihren knappen Mitteln ansetzen? Da würde ich zum Teil andere Schwerpunkte setzen.

Gibt die Stadt Essen ihre geringen Mittel also falsch aus, wird zuviel in die Kultur gesteckt?

Christoph M. Schmidt: So drastisch möchte ich es nicht formulieren. Aber wir sollten uns nicht zuviel versprechen von kulturellen Investitionen. Sie sind auch wichtig, das Leben besteht nicht nur aus wirtschaftlicher Betätigung, das weiß auch ein Volkswirt. Aber die Vorstellung, man müsse die Haushalte nicht so richtig in den Blick nehmen, das Wachstum stelle sich schon ein und dieses Wachstum wiederum käme aus dem kulturellen Engagement – das glaube ich eben nicht. Das wichtigste Problem für die Stadt Essen ist, die Verschuldung in den Griff zu bekommen. Düsseldorf hat es beispielsweise geschafft, nicht zuletzt durch Instrumente, die in Essen nicht beliebt sind.

Sie spielen auf den Verkauf der RWE-Aktien an?

Christoph M. Schmidt: Ja. Jetzt wird jeder sagen, momentan ist der Aktienkurs im Keller. Aber man hat zumindest die Chance gehabt, sich teilweise von der Schuldenlast zu befreien, dies jedoch überhaupt nicht ernsthaft probiert. Das kann man einer Stadt wie Essen vorwerfen, dass sie die harten Entscheidungszwänge nicht frühzeitig diskutiert hat.