Essen.

Angst um den Arbeitsplatz, Bedauern und Unverständnis - der Rückzug von Stage Entertainment hat viele Essener kalt erwischt. „Wir kommen Jahr für Jahr zum Kurzurlaub nach Essen — da gehört ein Musical unbedingt dazu“, sagt eine Touristin.

Der Totgesagte rockt noch immer, schwingt überlebensgroß die Hüften — Puppen haben keine Angst vorm Jobverlust. Die Mitarbeiter schon. Doch auch im Colosseum muss die Show weiter gehen. Noch ist es nicht vorbei mit „Buddy Holly“. Aber dann? Die Menschen im großen Haus wirken teilnahmslos, zu groß der Schock, zu frisch: „Hier ist bald Ende. Alles vorbei!“ Der Musicalkonzern Stage Entertainment hat verkündet, nach „Buddy“ kein weiteres Musical mehr nach Essen zu schicken.

Die beiden Musicalfans ahnen davon noch nichts. Aus Frankfurt sind sie angereist und dem Rheinland — nur für „Buddy“. Nun steigt die Vorfreude, am Abend geht es ins Colosseum, „so ein schönes Theater“. Sie kennen die Stücke alle, „Elisabeth“ und „Aida“, „Ich will Spaß“ und „Joseph“: „Wir kommen Jahr für Jahr zum Kurzurlaub nach Essen — da gehört ein Musical unbedingt dazu“, meint Helga Schreiber. „Und jetzt soll Schluss sein? Wie schade, wie bedauerlich! Dann wird das unser letzter Besuch in Essen.“

„Musicals ohne große Handlung funktionieren nicht“

„Das war doch abzusehen. Schon vor sechs Monaten kursierten Gerüchte, hieß es: Nach Buddy ist Schluss. “ Der Musical-Experte, der dies sagt, kennt die Szene, möchte seinen Namen aber nicht gedruckt sehen; doch los werden will er Einiges.

Falsche Entscheidungen wirft er dem Unterhaltungskonzern vor. Gefragt seien dramatische Stücke, Musicals wie „Elisabeth“ und „Das Phantom der Oper“: „Und hier lief eine Unterhaltungs-Pop-Geschichte nach der anderen. In einem solchen Unternehmen muss doch irgendjemand merken, dass Musicals ohne große Handlung nicht funktionieren.“ Auch höre heute niemand mehr Neue Deutsche Welle, die Zeiten seien vorbei: „Wer kommt denn auf die Idee, aus dieser Musik ein Musical wie `Ich will Spaß´ zu machen? Warum nicht Schlager? Das hätte vielleicht funktioniert.“ In der Tat: „Ich will Spaß!“ wurde nach Essen nirgendwo in Deutschland mehr gespielt.

Auch unter den Passanten am Limbecker Platz ist das Kopfschütteln groß. „Ausgerechnet im Kulturhauptstadtjahr! Das ist doch peinlich! Da hätte sich die Stadt mehr bemühen sollen“, glaubt Jürgen Büker. Andere spinnen schon Zukunftsträume: „Ein Zentrum für alternative Subkultur, das ist die Form von Kultur, die wir brauchen“, meint ein Passant. Sicher ist noch nichts, nur dass er kommen wird, der Tag, an dem in der Kulturhauptstadt das Musical stirbt.