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Jährlich zieht die Polizei zahlreiche Fahrer wegen Alkohol am Steuer aus dem Verkehr. Warum ein klarer Verstand auf der Straße so wichtig ist, zeigt der Selbstversuch: Auf Einladung von Polizei und Dekra wagte sich Redakteurin Claudia Pospieszny alkoholisiert hinters Steuer.

Heute bin ich Proband. Somit darf ich im Dienst trinken und trunken fahren. Unter polizeilicher Aufsicht, auf Testgelände, kurz: dem „Idiotenhügel“ Frillendorfs.

Ein Experiment, initiiert von Dekra und Verkehrswacht, das zeigen soll, wie Selbsteinschätzng und Reaktionsvermögen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss leiden.

Das wird kein Spaß, kein gemütliches Trinken. „Wenn der Parcours kennen gelernt wurde, geht’s ans Kampftrinken“ witzelt Karl-Heinz Webels von der Verkehrswacht. Noch nüchtern setze ich mich hinters Steuer eines Testwagens, den Parcours nehm‘ ich mit Bravour, parke zwischen zwei Reifenstapeln – man reicht mir Glas Wein 1.

Ein wenig wie Saft kippen die anderen Probanden und ich die „Test-Getränke“ runter und kommen bereits beim ersten Alkotest ins Grübeln.

Während Proband A nach einer Flasche Bier 0,28 Promille misst, bringt Trinkkumpan B es nach der gleichen Menge auf einen Wert von 0,86.

Auf Dinge, die unerwartet vors Auto fliegen, können die Probanden kaum noch reagieren.
Auf Dinge, die unerwartet vors Auto fliegen, können die Probanden kaum noch reagieren. © WAZ FotoPool

Wir rätseln. Ich verschieb‘ die Messerei nach hinten und übe mich in Selbsteinschätzung. Die Erde schunkelt leicht, überhaupt empfinde ich den Verkehrsübungsplatz sehr plötzlich als erheiternd inspirierenden Ort. Geschätzt habe ich 0,8 Promille, fühle mich fahruntüchtig – laut Alkotest sind es aber nur 0,26, was mir, rein wertemäßig, Fahrtauglichkeit attestiert.

Noch ein Rätsel. Glas 2 – 0,86 Promille, nach nur 20 Minuten Testzeit. Die Welt stellt ihr Schunkeln ein, was mir automatisch das trügerische Gefühl von Sicherheit beschert. Munter umkurve ich die Pylonen, habe beim Einparken die wahnwitzige Vision einer Werbung, in der die Leute rasant in Parklücken flitzen, und ramme in der Rolle der Einpark-Stunt-Statistin leicht und lachend einen Reifenstapel.

Glas 3 – und, oh Wunder, wieder runter auf 0,76 Promille: Ich höre kurz die Erklärung von Karl-Heinz Webels (Verkehrswacht), dass ich beim vorherigen Mal wohl zu früh gepustet hab‘, wobei der Wert in der Mundschleimhaut mitgemessen wird und dann gebe es ja noch die „Anflutungsphase“, denn erst nach eineinhalb Stunden habe der Alkohol seine Wirkung voll entfaltet.

Trotz Tunnelblick um die Pylone

Was mir aktuell zu theoretisch ist, da fahr‘ ich lieber, fehlerfrei, und greife zum vierten Glas.

Wir reden ab hier über 1,24 Promille, „was für jemanden, der das nicht gewohnt ist“, doziert Webels, „eine Menge ist.“ Ha, merk‘ ich. Die Kommunikation zwischen mir und dem netten Alkotester verengt sich minimalistisch: „Möchte pusten.“ Wenn ich doch mehr sagen will, verfalle ich zungenstolpernd in ein „Unisex-Du“, weil Namen in diesem Trink-Test keinen Raum haben. Das, nun ja, Bizarre: Ich fahre dabei Auto.

Glas 5 – 1,82 Promille: Aufgezogenen Schrittes steuere ich den Testwagen an, kurve flott trotz Tunnelblicks um fünf und über eine Pylone und wundere mich nur knapp, dass unter dem Fahrzeug Schleifgeräusche zu hören sind. Erschreckt bin ich, soweit meine Restwahrnehmung dies noch zulässt, dass ich überhaupt noch fahren kann.

Gutmütig und der Ordnung halber zur Kenntnis ruft Polizist Jürgen Lückemeyer über den Platz: „Als die Pylone auf ihr Auto flog, kam die Reaktion: Bremsen. Verspätet, aber sie kam. Doch danach kam nichts mehr. Kein Anhalten, kein Zurückfahren. Sie hat die Pylone dann die ganze Zeit mitgeschliffen. Wäre das ein Fußgänger gewesen, der wäre wohl nicht wieder aufgestanden.“ Wow, da flog ein Pylon?

Das Experiment ist am Ende – ich auch.

Das Augenmaß lässt rasant nach: Einparken in betrunkenem Zustand ist nicht leicht.
Das Augenmaß lässt rasant nach: Einparken in betrunkenem Zustand ist nicht leicht. © WAZ FotoPool

Ein nachdenklicher Tag danach steht mir bevor, dabei ist das Fazit rasch gefunden: Nach Glas 1 war das ganze Trinkgelage Makulatur. Bereits nach diesem Glas hätte ich mich nicht mehr hinter das Steuer eines Wagens gesetzt. Bei Glas 2 hätte ich das wohl auch nicht mehr in Frage gestellt.

Der Test hat mir – und den anderen Probanden – aber auch gezeigt, dass es nahezu unmöglich ist, den Blutalkoholwert realistisch abzuschätzen. Weil das Urteilsvermögen sinkt. Und die Selbstüberschätzung mit dem Pegel – erschreckend – steigt.