Essen. .

Die Bestattungskultur wandelt sich: auf den konfessionellen Friedhöfen liegt der Anteil an Urnenbegräbnissen inzwischen bei 45 Prozent. Es geht es um Würde. Es geht um die Frage, wie eine Gesellschaft mit ihren Toten umgeht. Und es geht ums Geld.

Nein, die Rede ist hier nicht von Jugendlichen, die auf Friedhöfen schwarze Messen abhalten. Nicht von Vandalen, die, wie dieser Tage in Schonnebeck geschehen, Grabsteine umwerfen oder Gräber verwüsten. Es geht auch nicht um „Grabräuber“, die Engelsfiguren und Vasen beim Schrotthändler als Alteisen versilbern. Ins Bild passen eher jene Kinder, Jugendliche und Eltern, die im schneereichen Winter auf dem Friedhof am Hallo ein anonymes Gräberfeld in bester Hanglage als Rodelwiese entdeckten. Sogar Schulklassen waren dort unterwegs, berichtet Hans-Joachim Hüser von der Friedhofsverwaltung und kann sich auch Monate danach nur wundern: „Als wir die Leute darauf hingewiesen haben, wo sie Schlitten fahren, antworteten sie nur: Wo sollen die Kinder denn hin?“

Wenn Hüser und seine Kollegen beim städtischen Eigenbetrieb Grün und Gruga vorsichtig von einem „Wandel der Bestattungskultur“ sprechen, dann fügen sich solche Erlebnisse wie Mosaiksteinchen zusammen: Es geht um Würde, um Respekt vor den Verstorbenen, es geht um die Frage, wie eine Gesellschaft mit ihren Toten umgeht.

Und es geht knallhart ums Geschäft.

Seit Jahren beklagt der Eigenbetrieb einen Rückgang der Bestattungen. Knapp 5000 waren es im vergangenen Jahr, 30 Prozent weniger als Mitte der 70er Jahre. Damals lebten in Essen noch 681 000 Einwohner. Heute sind es gerade mal 570 000. Die „schrumpfende Stadt“ schlägt durch bis auf die Friedhöfe, wo nicht nur wegen des demografischen Wandels weniger Platz benötigt wird. Anders als noch vor 20 oder 30 Jahren werden heute zwei von drei Verstorben eingeäschert und in Urnen beigesetzt. Ein Trend, den auch Kirchengemeinden von Karnap bis Kettwig beobachten; auf den konfessionellen Friedhöfen liegt der Anteil an Urnenbegräbnissen inzwischen bei beachtlichen 45 Prozent.

Bezeichnender noch für den „Wandel der Bestattungskultur“: Auf städtischen Friedhöfen ist jede vierte Urnenbeisetzung eine anonyme.

Über die Ursachen lässt sich spekulieren. Die Kosten dürften eine Rolle spielen. 1200 Euro liegen zwischen einer Erdbestattung und einem Urnenbegräbnis. Die anonyme Bestattung gibt es „im Leistungspaket“ für 500 Euro. Mancher Angehörige möchte sich wohl auch das Geld für die Grabpflege sparen. Jedes Jahr lässt die Friedhofsverwaltung zwischen 1200 und 1400 Gräber einebnen, weil sich niemand mehr darum kümmert. Auch das ein Indiz: Familiäre Bindungen sind häufig nicht mehr so eng sind, wie sie es einmal waren.

„In der Regel entscheidet der Bestatter, wo eingeäschert wird.“

Wenn Klaus Grütz, Verwaltungsleiter bei Grün und Gruga, einen Verfall der Sitten beklagt, dann meint er nicht nur die Bestattungskultur, sondern auch den Wettbewerb, den sich die Betreiber von Krematorien inzwischen liefern. 2003 hat der Gesetzgeber den Markt für Private geöffnet, somit gebe es leider auch keinen „Anschluss- und Benutzungszwang“ - ein Begriff, der bezeichnenderweise der Abfallentsorgung entlehnt ist.

„In der Regel entscheidet der Bestatter, wo eingeäschert wird“, weiß Grütz. Dass einige Urnenbeisetzungen sogar in Holland oder in Thüringen anbieten, ohne dass der oder die Verstorbene zu Lebzeiten eine persönliche Verbindung dorthin gehabt hätte, dürfte kein Zufall sein. Auch dafür gibt es eine Nachfrage. Weit weg, aber Hauptsache billig, lautet offenbar die Devise.

Handgelder sind in der Branche längst üblich. Grün und Gruga zahlt Bestattern 30 Euro „pro Lieferung“ und kann dennoch im Wettbewerb kaum bestehen gegen riesige Feuerstätten wie sie ein privater Anbieter etwa unweit der Landesgrenze in Rheinland-Pfalz betreibt, „Hol- und Bring-Service“ inklusive. Regelmäßig machen sich von dort aus „neutral lackierte Transporter“ auf den Weg, um gleich ein halbes Dutzend Särge einzusammeln, berichtet Grütz. Bei Grün und Gruga warten sie nur darauf, dass ein solcher Laster eines Tages auf der A 40 in einen Unfall verwickelt wird und die Särge über die Fahrbahn schlittern. Das ist zynisch und Ausdruck purer Hilflosigkeit.

Denn die Zahlen sprechen für sich. Innerhalb von nur zwei Jahren hat Grün und Gruga im Bestattungswesen einen Verlust von 2,5 Millionen Euro angehäuft. Tendenz steigend. In der Verwaltung setzen sie deshalb verstärkt auf „Marktanalysen“, „Kundenberatung“, und „Akquise“: Bestattungskultur trifft Marktwirtschaft. Gleichzeitig hat die Stadt ihrem Betrieb einen strengen Sparkurs verordnet. Grün und Gruga wird auch auf Friedhöfen die Grünpflege zurückschneiden, Trauer- und Aufbewahrungshallen sollen mangels Nachfrage abgerissen werden. 700 000 Euro pro Jahr will der Betrieb einsparen. Nur ein einziger Friedhof soll geschlossen werden - der Friedhof Schonnebeck mit nur acht Beisetzungen 2009. Die Bestattungskultur mag sich wandeln, mancher Bürger und Stadtteilpolitiker tut sich dennoch schwer, wenn es darum geht, ein Stück Friedhofskultur für immer aufzugeben.