Essen.

Der Essener Hochschul-Campus hat Symbolcharakter - in verschiedener Hinsicht. „Stolpersteine“ sollen an die Verbrechen der Nationalsozialisten erinnern. Andreas Koerner, pensionierter Uni-Bibliothekar, hat die Geschichte des Segeroth-Viertels recherchiert.

„Wir leben nicht in einem geschichtsleeren Raum. Überall, wo wir gehen und stehen, hat bereits Geschichte stattgefunden“, sagt Andreas Koerner. Der 67-jährige, pensionierte Bibliothekar hat für den „Historischen Verein für Stadt und Stift Essen e.V.“ die Geschichte des Segeroth-Viertels und die Schicksale der damals dort lebenden Juden recherchiert. Basierend auf seinen Forschungsergebnissen wurden auf dem Campus 21 „Stolpersteine“ verlegt, die an die Verschleppten aus dem „Judenhaus“ erinnern sollen. „Rein theoretisch könnten auf dem heutigen Uni-Gelände noch viel mehr solcher Stolpersteine verlegt werden. Diese 21 Namen gelten als ein Symbol für all’ die Menschen, die dort lebten und von den Nationalsozialisten ermordet wurden“, sagt Koerner.

„Die Uni ist kein elitärer Elfenbein-Turm“

1972 wurde die Universität-Gesamthochschule auf einem zuvor abgerissenen Teil des traditionsreichen Arbeiterviertels Segeroth erbaut. Durch die Nähe zur Innenstadt und der Ansiedlung in einem ehemaligen Arbeiterbezirk sollte eine enge Verzahnung zwischen akademischer Welt und städtischer Bevölkerung erreicht werden. Ein Ziel, das bis heute nicht zufriedenstellend erreicht wurde.

Doch in Zeiten des einsetzenden Strukturwandels im Ruhrgebiet galt dies trotzdem als deutliches Signal: „Die Uni ist kein elitärer Elfenbeinturm, hier kann jeder studieren.“

Die Vergangenheit des Segeroth-Viertels hat aber auch dieses dunkle Kapitel, das die Stolpersteine veranschaulichen. In einer der Straßen, die noch in den 1930er und 1940er Jahren vor dem Bau des Campus auf dem Areal verliefen, der Maschinenstraße, wohnten in der Nummer 19 die Familien Mosbach, Steinberg, Waag, Cahn, Herz, Jena, Hünerberg und Levisohn. Allesamt jüdische Familien. 22 Personen. Doch nur ein Bewohner dieses Hauses überlebte den Holocaust. Die übrigen wurden von den Nationalsozialisten deportiert und fanden in den Konzentrationslagern Auschwitz, Mauthausen, Izbica und Minsk den Tod.

Aufwendige Recherche

Bevor die Nationalsozialisten an die Macht kamen, gab es im Segeroth-Viertel viele jüdische Geschäfte: Händler, Schneider, Tuchmacher. Dann schürten die Nazis den Hass und plötzlich galten Kunden, die bei den Juden kauften als Verräter. Die Situation eskalierte spätestens in der Reichskristallnacht, 1938. Ein Jahr später trat dann das „Gesetz über die Mietverhältnisse mit Juden“ in Kraft und die Maschinenstraße 19 wurde zum „Judenhaus“ erklärt.

Koerners Recherchen sind aufwendig. Er empfindet es als unbefriedigend, wenn er nur die reinen Daten, Namen, Zahlen in Erfahrung bringen kann. Koerner möchte Hintergrundinformationen. Er nutzt Bücher, die Datenbank der Gedenkstätte „Yad Vashem“, alte Adress- und Telefonverzeichnisse, Stadtpläne, Deportationslisten, Materialien aus Stadtarchiv und Standesämtern, und Straßenverzeichnisse. „Manche Fälle sind einfach zu recherchieren, an anderen beißt man sich die Zähne aus“, sagt der Hobby-Historiker. „Doch die Stolpersteine sollen gesehen werden und an die schlimmen Zeiten erinnern, die dieses Viertel erlebt hat.“

Im gesamten Stadtgebiet wurden seit 2004 etwa 220 Stolpersteine im Gedenken an NS-Opfer verlegt. Doch Koerners Recherche nach Namen, Orten, Schicksalen ist noch nicht am Ende. Ein möglicher Platz für weitere Gedenksteine könnte an der Schützenbahn sein, wo die Uni weitere Gebäude unterhält. Denn dort befand sich ein Außenlager des KZ Buchenwald.