Essen. .
„Jetzt erstmal die Kurve kriegen“ - mit diesem Credo geht Oberbrügermeister Paß in die Haushaltsgespräche. Dabei kritisiert er offen „die Machtgier“ einiger Politiker. In Bezug auf das RWE-Stadion sieht Paß nun die Chance, „nochmal neu nachzudenken“.
Herr Paß, aus Ihrer Partei, der SPD, hört man Unmut darüber, wie hart vor allem aus der CDU heraus der Oberbürgermeister politisch kritisiert wird. Teilen Sie diesen Unmut?
Reinhard Paß: Mein Credo als Kommunalpolitiker war immer, dass man der Stadt und ihren Institutionen einen gewissen Grundrespekt schuldet. Ob das anderen auch als Leitlinie dient, kann ich nicht beurteilen.
Aber sie können ja Ihren Eindruck schildern.
Paß: Mein Eindruck ist, dass wir es anders gemacht haben.
Die Kritik empfinden sie als unmäßig?
Paß: Zumindest unsachlich ist manche Kritik auf jeden Fall.
Sie fürchten um die Würde des Amtes des Oberbürgermeisters?
Paß: Gelegentlich ist das so, ja. Auch wenn wir oft anderer Meinung waren, hat die SPD meinen Vorgänger Wolfgang Reiniger in seinem Amt stets respektiert. Das sind wir der Stadt Essen, die der Oberbürgermeister repräsentiert, einfach schuldig. Wenn es Kritik gab, dann war sie inhaltlicher Natur, nie persönlich. Und das ist jetzt nach meiner Wahrnehmung anders. Weder sozialdemokratische Kommunalpolitiker noch ich persönlich als Fraktionschef haben in der Vergangenheit Gelegenheiten gesucht, Reiniger persönlich oder das Amt des Oberbürgermeisters zu beschädigen.
Wie erklären Sie sich diesen Wandel, wenn es ihn denn gibt?
Paß: Heute geht es einigen mehr um persönliche Macht als um Sachfragen der Stadt. Das sieht man schon daran, dass die vier unter Führung der CDU kooperierenden Parteien zwar gemeinsame Anträge stellen, dies aber unterschiedlich begründen. Man versucht nicht, für die Stadt etwas zu erreichen, sondern man will andere Parteien schlecht aussehen lassen.
Ist das nicht in der Politik normal?
Paß: Nicht in der Kommunalpolitik. Wenn man mit politischen Machtspielen den Oberbürgermeister treffen will, der die Stadt Essen vertritt, dann schadet man damit zugleich auch der Stadt selbst. Damit wird das Image der Stadt Essen bei Unternehmen und seinen Bürgern beschädigt.
Was erhoffen Sie sich von den Etat-Beratungen?
Paß: Ich kann nur dem gesamten Rat den Ratschlag geben, in der schwierigen Konsolidierungs-Frage mit möglichst breiten Mehrheiten zu entscheiden und nicht mit der kleinstmöglichen Mehrheit das Sparpaket zu verabschieden. Sonst fehlt der notwendige breite Konsens, das Sparpaket droht zu zerfleddern.
Aber Mehrheit ist eben Mehrheit. Wo ist das Problem?
Paß: Noch mal: Im Rat bilden sich derzeit keine sachbezogenen wechselnden Mehrheiten - damit könnte man umgehen -, sondern Mehrheiten, die sich aus machtpolitischen Gründen gegen die SPD-Fraktion bilden. Wenn sich Mehrheiten an Inhalten orientieren würden, dann könnte die Stadtverwaltung effizienter, schneller, wirkungsvoller und ohne Reibungsverluste arbeiten. Es ist ja nicht der OB alleine, der das Klima in einer Stadt bestimmt. Derzeit stelle ich fest, dass einige aus Machtgier handeln und dabei nicht das Wohl der Stadt im Auge haben.
Mancher fragt sich etwas ratlos, was Ihre Leit-Idee für Essen ist. Wohin wollen Sie mit der Stadt?
Paß: Wir müssen jetzt erst mal die Kurve kriegen, um den Haushalt genehmigungsfähig zu machen und die volle Handlungsfähigkeit der Stadt wiederherzustellen. Da können Sie nicht zeitgleich mit großen Visionen kommen. Ich halte mich da ganz bewusst zurück. Die Kulturhauptstadt hat den Imagewandel befördert, aber auf die Frage, was kommt nach 2010 hat keiner eine fertige Antwort - ich auch nicht. Was ich sagen kann: Mir gefällt der sehr zukunftsorientierte Grundgedanke der mit dem Projekt Innovation City transportiert wird - ich höre überall, wie wichtige gerade den Jüngeren die Frage des Klimaschutzes ist. Wenn es uns gelingt, Essen als Stadt der Energieeffizienz zu profilieren, dann könnten wir ein Leitbild entwickeln, das die Grundidee der Kulturhauptstadt-Idee aufgreift und weiterentwickelt.
Mit dem Abstand einiger Wochen: Haben Sie immer noch ein gutes Gefühl, wenn sie an die RWE-Entscheidung denken, Stichwort Bürgschaft?
Paß: Ich wiederhole das gerne noch einmal: Die Stadt hat bis zu 1,4 Millionen Euro jährlich aus dem Bereich der städtischen Gesellschaften bereitgestellt. Diese Größenordnung, die bereits enorm ist, kann ich mir auch künftig vorstellen, aber nicht einen Cent mehr. Das lässt sich vor dem Hintergrund der Finanzsituation nicht verantworten, und genau das habe ich immer gesagt. Ich verfolge damit kein Ziel. Ich habe nur deutlich gesagt, wo die Grenzen der öffentlichen Hand sind.
Und die ominöse Bürgschaft?
Paß: Eine Bürgschaft ist kein bares Geld. Ich glaube, das war das große, vielleicht gewollte Missverständnis bei Rot-Weiß Essen. Deshalb habe ich das Wort selbstgefällig benutzt. Eine Bürgschaft ist ein Rettungsschirm verbunden mit der Hoffnung, dass man ihn nicht braucht - eine Motivation für den Verein. Ich hatte aber leider festgestellt: Da war nicht einmal jemand unterwegs, Sponsorengelder zu akquirieren. Man muss solche Zahlungen wie an RWE auch innerhalb der Stadtgesellschaft vermitteln können. Keiner hat gesagt, wo ich die 2,5 Millionen Euro für die Bürgschaft hätte hernehmen sollen.
Also kurz und gut: RWE hat wenig getan und gehofft, dass die Stadt einspringt?
Paß: So muss ich das vermuten, ja.
Zwölf Millionen sind in der Ära Ihres Vorgängers bereits in den Verein gesteckt worden. Das Geld ist nun verloren. War das ein Fehler aus falsch verstandener Vereinsliebe?
Paß: Das will ich gar nicht bewerten, wir hatten ja damals auch ganz andere Zeiten, Stichwort Haushaltslage. Wir hatten doch fast alle den Glauben, das packen die jetzt, da geht es sportlich weiter. Aber es kam anders. Und jetzt wäre es gar nicht möglich gewesen, zusätzliche 2,5 Millionen Euro rechtlich sicher für einen Proficlub auszugeben. Ich konnte gar nicht anders handeln, hatte keinerlei Bewegungsmöglichkeit. Denn der Regierungspräsident als Aufsichtsbehörde hat zum Thema RWE deutliche Worte gefunden.
Unabhängig davon: Auch Sie wollen schlechtem Geld kein Gutes hinterherwerfen?
Paß: So kann man das sagen, ja.
Nun sagen einige, RWE ist als Identifikation zu wichtig, als dass man so mit dem Verein umspringt.
Paß: Ja, dem tragen wir Rechnung, indem wir auch künftig Sponsoring betreiben. Wobei wir für die fünfte Liga nur ein entsprechend vorsichtig bewertetes Paket zusammenstellen können. Wichtig ist, dass der Verein seine Hausaufgaben macht. Und mit Kostenbewusstsein entscheidet, was für die 5. Liga gebraucht wird. Dann wird man sehen, ob es passt. Wenn es nicht passt, muss sich der Verein entsprechend strecken. 1,4 Millionen Euro pro Jahr können wir für die 5. Liga nicht ausgeben, weil der werbliche Gegenwert in der 5. Liga geringer ist, als in der 4.
Gab es einen Plan, RWE in die fünfte Liga zu bugsieren, weil es da billiger ist?
Paß: Nein, ich hatte keinen Plan. Ich bin gewählt worden, um mit Situationen umzugehen, wie sie sich stellen. Wir müssen jetzt aus der Situation das Beste machen.
Welche Pläne gibt es denn in Sachen Stadion-Neubau?
Paß: Wir haben die Chance, über das Thema Stadion noch einmal neu nachzudenken, da es uns nach der Verfügung der Bezirksregierung zur Zeit untersagt ist, das Stadion zu bauen. Vergessen Sie nicht, dass wir drei Vereine haben, die hier spielen könnten, neben RWE noch ETB und die Frauen von SG Schönebeck. Wann, wenn nicht jetzt können wir noch einmal neu überlegen?
Da sagen viele, es ist schon so viel nachgedacht worden.
Paß: Nun warten wir doch ab. Man kann nicht mit den Erkenntnissen von vor zehn Jahren die Probleme von heute lösen.
Sie nehmen auf jeden Fall in Kauf, dass das Stadion auf der Zeitachse nach hinten rutscht, denn eine Neuplanung ist natürlich zeitaufwändig.
Paß: Das ist ein wichtiger Aspekt bei der Bewertung, aber es ist nicht der einzige. Wenn es eine bessere Lösung gibt, dann kann man das sicher auch trotz der zeitlichen Problematik vermitteln. Ich schließe aber ausdrücklich nicht aus, dass sich der Standort Hafenstraße bestätigt.
Ist das Stadion überhaupt noch vermittelbar in dieser Situation? Bei der Haushaltsnotlage und jetzt bei der Lage von RWE?
Paß: Der Anteil der Stadt steht jedenfalls, 22 Millionen Euro sind im Etat ausgewiesen. Es geht um eine Investition, mit der wir einen Wert schaffen.
Klar ist aber auch: Der Zwangsabstieg hat die Stadionfrage nicht gerade vereinfacht.
Paß: Naja, stellen Sie sich vor, der Verein wäre wie auch immer in der vierten Liga geblieben und wir hätten mit dem Bau des Stadions begonnen. Wie wäre der Verein bei der Mentalität, wie ich sie erlebt habe, dann vorgegangen? Ich will es Ihnen sagen: „Die Stadt hat ein Stadion im Bau und braucht jetzt eine Mannschaft, die drin spielt. Genial, ich lehne mich zurück und warte mal ab.“ Da geht es dann um Größenordnung, die man nicht mehr verantworten kann. Wenn wir in dieser Situation ein Stadion schon im Bau gehabt hätten, säßen wir bei Verhandlungen am kürzen Hebel. Dann wären wir nicht mehr auf Augenhöhe.
Ihr Vertrauen in die RWE-Verantwortlichen ist wirklich nicht sehr groß. Die Kommunikation war aber von keiner Seite besonders zielführend, das darf man doch festhalten, oder?
Paß: Das mag ja sein, im Nachhinein ist man immer schlauer. Aber bei der Emotionalität, die der Verein entfacht hat und die auch über die Medien transportiert wurde, wäre man mit Argumenten wahrscheinlich nicht durchgedrungen.